Vor 55 Jahren, am 23. September 1968, ist Padre Pio, der stigmatisierte Kapuziner von Pietrelcina, in die Ewigkeit eingegangen. Dieser Artikel gibt eine Übersicht über sein Leben und zeigt seine Bedeutung für unsere Zeit. Eine seiner geistlichen Töchter, Frau Tangari, hat sehr viel getan für den Aufbau der Priesterbruderschaft im deutschsprachigen Bereich.
55. Todestag von Padre Pio
Eine der Missionen Padre Pios war es, „das Kreuz Christi sichtbar zu machen“. Christus hat eine menschliche Form angenommen, um das Unsichtbare sichtbar zu machen. Diese Offenbarung Gottes ist mit der Himmelfahrt noch nicht abgeschlossen, denn nach Seiner Rückkehr zum Vater, hat der Heiland den Geist der Wahrheit gesandt. Seit dieser Zeit hat jedes Jahrhundert Heilige hervorgebracht, deren vollkommene Leben in der Nachfolge Christi Seine Menschwerdung sozusagen erneuern. Das äußere Leben einiger Heiligen ist dem Leben des Heilands so ähnlich, dass sie das Leiden Christi in ihrem eigenen Fleisch nochmals durchleben.
Der Hl. Franz von Assisi ist der bestbekannte Beispiel dieser Heiligen, und viele Maler haben den „Poverello“ dargestellt beim Empfang der Wundmale. Andere Heilige haben dieses besondere Phänomen erfahren: Hl. Katharina von Sienna, Mme. Acarie (Sel. Marie von der Menschwerdung), deren Wundmale unsichtbar waren.
Trotz ihrer sakramentalen Vereinigung mit Christus dem Hohen Priester, wurde bis zum 20. September 1918 noch kein Priester auserwählt, um das Geheimnis des Kreuzes im eigenen Fleische zu erneuern.
Am 20. September 1918, als er vor dem Kreuz im Mönchschor betete, durchbohrten Lichtstrahlen seine Hände, Füße, und Seite wie Pfeile. Der 31-jährige Kapuziner wusste es noch nicht, aber während der nächsten fünfzig Jahre, bis zum 20. September 1958, sollte er die sichtbaren Zeichen des Leidens Christi tragen, das er jeden Tag neu erleben wird.
Eine der Missionen Padre Pios hatte begonnen: die Mission das Kreuz Jesu Christi sichtbar zu machen, die Menschen aufzuklären über die Wirklichkeit des Opfers, das am Altar erneuert wird, und die Priester und Gläubige zu erinnern an die Berufung des Priesters zum Opfer: „Wenn der Weizenkorn nicht stirbt, wird es keine Frucht tragen.“ „Tut das, was ich getan habe!“
Geboren am 25. Mai 1887, der kleine Francesco Forgione war das vierte von sieben Kindern einer Bauernfamilie. Seine Eltern führten ein einfaches Leben und wohnten in einem armen Haus in Pietrelcina. Sie waren gute Christen und fleißige Arbeiter.
Die Pfarrkirche von Pietrelcina ist dem Hl. Pius I., Papst und Martyrer, geweiht. Ihm zu Ehren hat der junge Kapuziner den Namen Frau Pio gewählt.
Als kleiner Junge schon wurde Francesco mit Schauungen und außerordentlichen Phänomenen beschenkt. Von den ersten Jahren bis zum Ende seines Lebens war Padre Pio es gewohnt, Besuche der Engel zu empfangen, Erscheinungen der Muttergottes und… gewaltsame Angriffe der teuflischen Mächte. Anfangs glaubte der Junge, dass alle Kinder seines Alters dieselben Erfahrungen hatten.
Nehmen Sie sich in Acht, lieber Leser, denn hier könnte Ihre Andacht zum Padre Pio Sie täuschen. Wie die geistlichen Autoren erklären, sind die außerordentlichen Phänomene nicht die Heiligkeit; manchmal, oft sogar, sind sie miteinander verbunden; sie können auch ohne Heiligkeit vorkommen, aber sie müssen sorgfältig von ihr getrennt werden. Wenn Padre Pio ein Heiliger ist, dann nicht wegen seiner Bilokation [die Gabe, an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig sein zu können] und anderer besonderer Phänomene, sondern wegen seiner heroischen Tugenden.
Und der kleine Francesco hat von Anfang an die heroische Tugend geübt. Hat seine Mutter nicht entdeckt, wie er am Boden schlief mit einem Stein als Kopfkissen? Seine Frömmigkeit war solide, sein Gehorsam tadellos, sein Fleiß im Studium und in den Pflichten mehr als bewundernswert, und seine Freundschaft musterhaft.
Im Alter von fünfzehn Jahren, hat ihm eine ungewöhnliche Vision seine Zukunft implizit geoffenbart: ein Engel lud ihn ein, gegen einen Riesen zu kämpfen, der viel stärker war als er. Widerstrebend hat der Jugendliche den Kampf angesetzt und gesiegt. Durch diese Anspielung auf David und Goliath hat die Vorsehung die Gewalt der zukünftigen Kämpfe angekündigt.
Einige Wochen später, am 22. Januar 1903, im Alter von fünfzehn Jahren, ist er in das Noviziat der Kapuziner in Morcone eingetreten, und hat den Namen Frau Pio von Pietrelcina genommen.
Seine Mutter war anwesend, sein Vater war in den Vereinigten Staaten, wo er arbeitete, um die Studien seiner Kinder zu bezahlen. Während insgesamt sieben Jahren (zuerst drei, dann vier) war dieser bewundernswerte Vater von seiner nicht weniger bewundernswerte Frau und seinen Kindern getrennt, um für sie aufzukommen.
Die Studien des jungen Novizen dauerten bis 1909. Der junge Mönch zeigte sich ernst, lerneifrig und zufriedenstellend, aber nicht glänzend. Gegen Ende seiner Studien stieg er schnell den Stufen des Altares; nachdem er die ersten niederen Weihen im Jahre 1908 empfing, wurde er im folgenden Jahre 1909 zum Diakon geweiht.
Gesundheitliche Probleme kamen, um den jungen Mönch zu prüfen. Er musste seine Studien unterbrechen, sogar das Klosterleben und bekam den Befehl, sich auszuruhen im Elternhaus in Pietrelcina. Diese Pause sollte… sieben Jahre dauern. Trotz dieser Schwierigkeiten wurde er am 10. August 1910 im Dom von Benevento zum Priester geweiht und feierte seine erste Heilige Messe in Pietrelcina am 14. August.
Getrennt von den Mitbrüdern, geplagt von furchtbaren inneren Prüfungen, blieb er im regelmäßigen Briefkontakt mit seinem Seelenführer, Padre Agostino, der ihm befahl, seine inneren Kämpfe schriftlich festzuhalten, wie auch die außerordentlichen Gnaden, die er empfing.
Ein Oberer wollte ihn entlassen, damit er als Weltpriester wirke, aber im Jahre 1911 holte man ihn in das Kloster zurück. Der Teufel war wütend und griff ihn so gewaltsam an, dass der Pater Guardian – im franziskanischen Geist – ihn aufforderte, er solle um die Gnade beten… im Stillen gefoltert zu werden. Diese Gnade wurde ihm am selben Abend gewährt, zur großen Freude der Kapuziner, die des Lärms überdrüssig waren und der Dorfbewohner, die anfingen, sich Sorgen zu machen.
Sein gesundheitlicher Zustand zwang ihn bald, nach Pietrelcina zurückzukehren. Die Ärzte konnten keine Befunde aufweisen. Dennoch gaben sie ihn nicht mehr als eine Woche zu leben.
Er verließ nochmals Pietrelcina, um nach Foggia zu ziehen, wo er die Luft überhaupt nicht ertrug. Am 28. Juli 1916 hat man ihm geraten, einige Wochen in San Giovanni Rotondo zu verbringen, um auszuruhen. Er wird dort bleiben bis zu seinem Tod…
Halblebendig wurde er dennoch für den Wehrdienst einberufen, bis man ihn näher untersuchte. Es gibt ein Foto aus dieser Zeit mit dem Kapuziner als Rekrut, im Uniform, ein Gewehr in der Hand; er hatte noch nie eine Waffe gebraucht und sieht verfremdet aus. Während dieser Zeit ist er zum ersten Mal biloziert. Die Italiener hatten gerade eine schwere Niederlage erlitten in Caporetto am 24. Oktober 1917, und der Oberbefehlshaber, General Cardonna, wollte Selbstmord begehen. Im Moment wo er sein Gewehr in die Hand nahm, trat ein Kapuziner in sein Büro ein und riet ihm von der Handlung ab. Der General ließ sich überzeugen, und dankte dem guten Priester und führte ihn wieder zur Tür. Dann fragte er seinen Untergebenen, wie der Priester heiße, den sie hineingelassen hatten. Aber niemand hatte ihn ein- oder ausgehen gesehen. Der General hat ihn erst viele Jahre später auf einem Foto erkannt.
Nach seiner Rückkehr vom Militär ins Kloster, empfing er am 30. Mai 1918 die Gnade der Verwundung der Seele. Am 20. August empfing er die Wundmale mit großen Schmerzen. Aber täuschen Sie sich nicht. Wie er seinem Seelenführer, Padre Agostino, schrieb, „im Vergleich zu dem, was ich in meinem Fleische leide, sind die geistlichen Kämpfe viel schlimmer (…); ich lebe in der völligen Dunkelheit… Alles beunruhigt mich, und ich weiß nicht, ob ich Gutes oder Schlechtes tue. Ich erkenne, dass diese Gedanken nicht Skrupel sind, aber der Zweifel darüber, ob ich Gefallen finde bei Gott oder nicht, zermalmt mich.“
Zuerst versuchte Padre Pio seine Wunden zu heilen. Es war vergebens. Sie verbergen? Unmöglich. Die Wallfahrten nach San Giovanni Rotondo fingen an.
Von 1918 bis 1921 wuchs das Apostolat des Priesters. Die Ärzte, die seine Wunden beobachten, waren von ihrem übernatürlichen Charakter überzeugt. Papst Benedikt XV. erklärte sogar, dass „Padre Pio einer dieser Männer sei, die Gott von Zeit zu Zeit zur Erde schickt, um die Völker zu bekehren.“
Alles hat sich im Jahre 1921 geändert. Eine kirchliche Verschwörung von verdorbenen Priestern war damals einflussreich in Rom. Der Bischof von Manfredonia, in dessen Diözese sich das Kloster San Giovanni befindet, behauptete sogar, er habe den Padre Pio gesehen, wie er Parfum verwendete und Salpetersäure in seine Wunden goss, um die Wundmale zu vertiefen! Manche Domherren von San Giovanni Rotondo haben nach außen über die saftigen Einnahmen der Kapuziner geschwätzt, dank ihres Stigmatisierten. Das Schlimmste war, dass sie ernst genommen wurden.
Besorgt um diese Behauptungen, war Rom misstrauisch… den Kapuzinern gegenüber. Eine schwierige Zeit folgte für Padre Pio, als ihm das anvertraute Apostolat schrittweise entzogen wurde. Es war sogar die Rede davon, ihn zu versetzen. Dies genügte, um die Ortsansässigen aufzurühren, die entschlossen waren ihren Santo zu behalten und zu verteidigen. Ein Aufstand war nicht weit weg. Da er dachte, das Dorf zu verlassen zu müssen, schrieb Padre Pio, einen berührenden Brief, dessen Schlußwörter an seinem Grab stehen:
„Ich werde immer dieses großzügige Volk in meinem armseligen und emsigen Gebet einschließen, um für es Friede und Wohlergehen zu erbitten; und als Zeichen meiner Zuneigung, da ich nichts Anderes tun kann, drücke ich den wunsch aus, solange meine Oberen nichts einwenden, dass meine Knochen in einem Winkel dieses Orts ihre Ruhe finden.“
Ein Oberer überlegte sogar, Padre Pio in einem Fass aus dem Kloster hinauszuschmuggeln. Gehorsam, aber weder knechtlich noch dumm, hat Pater Guardian diese Maskerade abgelehnt.
Der arme Priester wird weiterhin mit Sanktionen belegt. Am 23. März 1931 hat ihm das Heilige Offizium jede Seelsorge, jede öffentliche Feier der Messe und jeden Kontakt mit Kapuzinern von außerhalb seines Klosters untersagt. Als er von diesen Maßnahmen erfuhr, brach er in Tränen aus. Ein Bruder wollte ihn trösten, worauf Padre Pio erklärte, dass er über die Seelen weine, die wegen der fehlenden Beichte zugrunde gehen würden.
Padre Pio hatte jetzt mehr Zeit für Lektüre. Er las unter anderem die Kirchengeschichte von Rohrbacher, und an einem einzigen Tag die “Divina Commedia” von Dante.
Im Jahr 1933 werden die Sanktionen schrittweise aufgehoben. Padre Pio nimmt seinen Dienst wieder auf, vor allem im Beichtstuhl, wo er regelmäßig bis zu 10 Stunden am Tag beichthört.
Die nächsten Jahre verlaufen friedlich. Im Jahr 1940, selber ein Leidender, gründet Padre Pio die Casa Sollievo della Sofferanza, ein großes, modernes Krankenhaus, von hervorragenden Ärzten betreut. Wie bei allen Werken der Vorsehung mangelt es nicht an Hindernissen, aber das Krankenhaus wird im Mai 1956 eingeweiht werden. Es besteht heute noch.
Gleichzeitig gründet Padre Pio Gebetsgruppen, die sich in der ganzen Welt verbreiten hauptsächlich dank dem Betreiben seiner Beichtkinder, darunter auch Freimaurer, Schwindler, einen berühmten Tenor (Gigli) und Frauen von lockeren Sitten.
Papst Pius XII hat ihm Gebetsmeinungen anvertraut, aber sein Tod im Jahre 1957 öffnet ein neues schmerzhaftes Kapitel im Leben des Kapuziners. Einige seiner hochrangigen Mitbrüder blicken mit neidischen Augen auf die enormen Summen, die ihm durch die Hände gehen. Sie wollen sie für sich gewinnen. Eine “brüderliche” Verschwörung, die von den Behörden des Ordens unterstützt wird, bildet sich. Sie bauen sogar Mikrofone in der Zelle und im Beichtstuhl vom Padre ein. Der Vorfall wird entdeckt – Padre Pio beschwert sich bei einigen seiner Freunde – und die Verantwortlichen für diese Spionage werden von ihren Funktionen entlassen und in andere Klöster versetzt.
Das Ende seines Lebens wird friedlicher sein, doch ganz der Seelsorge gewidmet.
Zwei Ereignisse in den letzten Monaten seines Lebens sollten wir noch erwähnen. Der neuen Messe, die im Mai 1968 promulgiert wurde, gehen normative Messen voraus. Padre Pio bittet darum, die Messe aller Zeiten behalten zu dürfen, was ihm auch gewährt wird.
Im selben Jahr 1968, am 25. Juli, erschien die Enzyklika von Paul VI. über die Verhütung. Padre Pio, der nur noch zwei Monate leben sollte und der auf dem Höhepunkt seines mystischen Lebens stand, schrieb dem Papst einen Dankesbrief für diese so sehr von der Welt angegriffene Enzyklika.
Dieser zweite Pfarrer von Ars spürt sein Ende kommen. In der Nacht vom 20. auf den 21. September 1968, fünfzig Jahre nach ihrem Erscheinen, verschwinden die Wundmale: die Haut der Hände wird glatt und hell ohne irgendeine Narbe. Sein blutiges Jubiläum ist vollendet. Die Ewigkeit naht heran und in der Nacht vom 22. auf den 23. September gibt Padre Pio seine schöne Seele Gott zurück.
Nachwort: Padre Pio und Erzbischof Lefebvre
Am Ende des Sommers 1967 machte Erzbischof Lefebvre einen Besuch in San Giovanni Rotondo. Das Treffen mit Padre Pio war kurz. Erzbischof Lefebvre bat den Padre um den Segen für das nächste Kapitel der Väter des Heiligen Geistes. Der bescheidene Kapuziner lehnte ab und bat vielmehr um den bischöflichen Segen. Höflichkeit der Heiligen!
Diese zwei großen Männer der Kirche waren sehr verschieden. Der eine war Priester, der andere Bischof; einer durfte viele außergewöhnliche Phänomene erfahren, der andere hinterließ nur die rätselhafte Erinnerung an einen geheimnisvollen Traum in Dakar.
Beide haben jedoch wichtige Gemeinsamkeiten.
Beide litten für die Kirche, durch die Kirche.
Beide waren Opfer der wahren Autoritätstreue. Die Verfolgungen waren jedoch sehr unterschiedlich.
Die Verfolgungen von Padre Pio waren persönlich, verursacht durch die Eifersucht einiger weltlich gesinnter Priester und gieriger Kapuziner. Diese Verfolgungen führten zu ungerechten Strafen, denen sich Padre Pio mit heldenhaftem Gehorsam unterwarf.
Der Fall des Erzbischofs war anders. Seine Verfolgungen kamen von seinem Entschluss, den Glauben und die Messe aller Zeiten treu zu bleiben, und von seiner Ablehnung der Konzilsirrtümer und der neuen Liturgie. Nicht Disziplinarfragen standen im Vorfeld dieser Ausseinandersetzungen, sondern Glaubensfragen. Das Motiv seines Handelns war höher als der rein formelle Gehorsam. Sein Glaube war heroisch, wo der Gehorsam bequeme Unterwürfigkeit und die Klugheit des Fleisches bedeutet hätte.
Eine zweite Ähnlichkeit liegt in ihrem tiefen Verständnis des heiligen Messopfers. Alle beide waren erfüllt vom Gedanken an den Opfer- und Sühnecharakter der Messe. Der eine feierte in seiner mystischen Art die Messe als Aufstieg nach Golgatha; der andere, mit seiner Spiritualität, wandte sich ganz dem Heiligen Opfer zu. Alle beide, einer durch ein buchstäblich gekreuzigtes Leben, der andere durch sein Apostolat für das Priestertum, erinnerten an den zentralen Platz des Priesters im Werk der Erlösung.
Quelle: P. François-Marie Chautard, FSSPX (übs. von P. Joseph Stannus) – vgl. fsspx.at [3] (anlässlich des 50. Todestages)