Nachstehend unseren Artikel aus unserer MI-Ritter-Zeitschrift Mai 2021 über die letzten Tage des hl. Maximilian Kolbe.
Am 14. August 2021 jährt sich der Tod des hl. Maximilian Kolbe, der selbst von gewissen SS-Offizieren als heroisch bewundert wurde, zum 80. Mal. Aus diesem Anlass wollen wir zu Ehren unseres Patrons und zur Ehre der Immaculata, dessen Instrument er war, die Zeugen seiner Zeit sprechen lassen. Wie haben ihn seine Mitgefangenen erlebt? Was sagt der Mann, für den er sich geopfert hat?
Der erste Zeitzeuge ist Michał Micherdziński, ein Mithäftling, der erst 2006 verstarb. Pater Witold Pobiedziński führte ein Gespräch mit ihm, das hier auszugsweise wiedergegeben wird.[1] Der Überlebende von Auschwitz erklärt zuerst, wie es wegen eines Ausbrechers einen Appell gab und zehn Häftlinge aus ihrem Block zum Hungertod verurteilt wurden.
Wie verhielt sich der heilige Maximilian während dieser Auslese?
„Pater Maximilian und ich standen in der siebten Reihe. Er stand links von mir, vielleicht zwei oder drei Freunde standen zwischen uns. Als die Reihen vor uns sich immer mehr lichteten, begann sich eine große Furcht über mich zu legen … Obwohl man immer noch das ‚Du!‘ hörte, veränderte mich das innere Gebet genug, damit ich etwas ruhiger wurde … Der SS-Mann ging an mir vorbei, mit seinen Augen schweifte er über mich hinweg und dann ließ er auch Pater Maximilian hinter sich. Sie wollten Franciszek Gajowniczek, einen 41-jährigen Unteroffizier der polnischen Armee, der am Ende der Reihe stand. Als der Deutsche ‚Du!‘ sagte und auf ihn zeigte, rief der arme Mann aus, ‚Jesus, Maria! meine Frau, meine Kinder!‘ Natürlich beachteten die SS-Männer die Worte des Gefangenen nicht, sondern schrieben nur seine Nummer auf.“
Als die Auslese beendet war, fühlten sich die übrig gebliebenen Gefangenen erleichtert, dass der Schrecken nun vorbei war?
„Die Auswahl ging zu Ende und die zehn Gefangenen waren bereits ausgesucht … Plötzlich begannen Unruhen in meiner Reihe. Wir standen in Abständen von der Länge unserer Holzschuhe, als plötzlich jemand anfing zwischen den Gefangenen nach vorne zu gehen. Es war Pater Maximilian.
… Er ging direkt auf die Gruppe der SS-Männer zu, die bei der ersten Reihe der Gefangenen stand. Alle erschauderten, denn das bedeutete den Bruch der Regel, auf der am meisten beharrt wurde und deren Zuwiderhandlung aufs Brutalste bestraft wurde. Das Verlassen der Reihe bedeutete den Tod … Wir waren sicher, dass sie Pater Maximilian töten würden, bevor er es geschafft hatte, zu ihnen zu gelangen. Aber es passierte etwas Außerordentliches … Nie konnte ein Gefangener die Reihe verlassen, ohne bestraft zu werden. Es war so unvorstellbar für die SS-Männer, dass sie ganz verdutzt dastanden. Sie schauten einander an und wussten nicht, was geschah.“
Was geschah als Nächstes?
„Pater Maximilian ging in seinen Pantoffeln, seiner gestreiften Uniform und seiner Schüssel an seiner Seite. Er lief weder wie ein Bettler noch wie ein Held. Er ging wie ein Mann, der sich seiner großen Sendung bewusst ist. Er stand ruhig vor den Offizieren. Der Lagerkommandant fand seine Sinne schließlich wieder. Wütend fragte er seinen Stellvertreter: ‚Was will dieses polnische Schwein?‘ Sie hielten nach dem Übersetzer Ausschau, doch es stellte sich heraus, dass kein Übersetzer benötigt wurde. Pater Maximilian antwortete ruhig: ‚Ich will sterben für ihn.‘ und zeigte mit seiner Hand auf Gajowniczek, der neben ihm stand. Die Deutschen standen sprachlos mit vor Erstaunen weit offenem Mund. Für sie, die die weltliche Gottlosigkeit repräsentierten, war es unverständlich, dass jemand wünschen könnte, für einen anderen zu sterben. Sie schauten Pater Maximilian mit der Frage in ihren Augen an: Ist er übergeschnappt? Vielleicht haben wir nicht recht verstanden, was er sagte?
Schließlich wurde die zweite Frage vorgebracht: ‚Wer bist du?‘ Pater Maximilian antwortete: ‚Ich bin ein polnischer katholischer Priester.‘ Damit gestand der Gefangene, dass er ein Pole war, dass er aus der Nation stammte, die sie hassten. Weiter gab er auch zu, dass er ein Geistlicher war. Für die SS-Männer war der Priester ein Gewissensbiss. Es ist interessant, dass Pater Maximilian in seinem Gespräch nicht einmal das Wort ‚bitte‘ verwendet … Es herrschte tödliches Schweigen und jede Sekunde schien Jahrhunderte zu dauern.
Schließlich geschah etwas, das weder die Deutschen noch die Gefangenen bis heute verstehen. Der SS-Kommandant drehte sich zu Pater Maximilian um und sprach ihn förmlich mit ‚Sie‘ an und fragte: ‚Warum wollen Sie für ihn sterben?‘
Alle Grundsätze, auf die sich der SS-Mann zuvor berief, fielen auseinander. Einen Moment zuvor nannte er ihn ‚das polnische Schwein‘ und jetzt wendet er sich mit ‚Sie‘ an ihn. Die SS-Männer und die nicht autorisierten Offiziere neben ihm trauten ihren Ohren nicht. Nur ein einziges Mal in der Geschichte der Konzentrationslager sprach ein hochrangiger Offizier, der Tausende von Menschen ermorden ließ, einen Gefangenen auf diese Weise an.
Pater Maximilian antwortete: ‚Er hat eine Frau und Kinder.‘ Es ist wie der ganze Katechismus in einer Nussschale. Er lehrte jedermann die Wichtigkeit von Vaterschaft und Familie. Er war ein Mann mit zwei Doktoraten, die er sich in Rom mit ‚summa cum laude‘ (der höchstmöglichen Auszeichnung) erarbeitet hatte, ein Schriftsteller, Missionar, akademischer Lehrer der Universitäten Krakau und Nagasaki. Er dachte, dass sein Leben weniger wert sei als das Leben eines Familienvaters. Das war eine wundervolle Katechismus-Stunde!“
Wie reagierte der Offizier auf Pater Maximilians Worte?
„Alle warteten darauf, was als nächstes passieren würde. Der SS-Mann war überzeugt davon, dass er der Herr über Leben und Tod sei. Er hätte anordnen können, ihn schrecklich zu schlagen, weil er gegen die am strengsten zu befolgende Regel verstoßen hatte, indem er aus der Reihe getreten war. Und noch wichtiger: Darf ein Gefangener es wagen, Moral zu predigen?! Er hätte auch beide zum Hungertod verurteilen können. Nach einigen Sekunden sagte der SS-Mann: ‚Gut!‘ – Er war mit Pater Maximilians Vorschlag einverstanden und gab zu, dass er Recht hatte. Es bedeutete, dass das Gute über das Böse siegte, über das maximal Böse.“
Wie wichtig war es für die verbleibenden Gefangenen Augenzeugen zu sein?
„Die Deutschen ließen Gajowniczek in die Reihe zurücktreten und Pater Maximilian nahm seinen Platz ein … Pater Maximilian ging als einer der Letzten und half sogar anderen Gefangenen zu gehen. Im Prinzip war es ihr eigenes Begräbnis vor dem Tod. Vor dem Block wurden sie angewiesen, ihre gestreiften Uniformen auszuziehen und wurden in eine Zelle von ungefähr acht Quadratmetern Fläche geworfen. Ein wenig Sonnenlicht sickerte durch die drei Fensterstreifen auf den kalten, harten und nassen Boden und die schwarzen Wände.
Da geschah noch ein weiteres Wunder. Obwohl Pater Maximilian nur noch mit einer Lungenhälfte atmen konnte, überlebte er am längsten. Er lebte 386 Stunden in der Todeszelle. Jeder Arzt wird erkennen, dass das unglaublich ist.“
„… Unser heiliger Mitgefangener rettete vor allem die Menschlichkeit in uns. Er war ein geistlicher Hirte im Hungerbunker, tröstete, führte Gebete an, ließ Sünden nach und entließ die Sterbenden mit dem Kreuzzeichen in die andere Welt. Er stärkte den Glauben und die Hoffnung in uns, die die Auswahl überlebten. Inmitten dieser Zerstörung, dieses Schreckens und des Bösen erneuerte er die Hoffnung.“ – Soweit dieses erste authentische Zeugnis.
Derjenige, für den Maximilian starb, Franciszek Gajowniczek, wurde nicht nur gerettet, sondern lebte noch weitere 54 Jahre. Auch er gab Zeugnis von Maximilian Kolbe:
„Ich konnte ihm nur mit meinen Augen danken. Ich war fassungslos und konnte kaum begreifen, was da vor sich ging. Die Unermesslichkeit dessen: Ich, der Verurteilte, soll leben und ein anderer opfert freiwillig und bereitwillig sein Leben für mich – einen Fremden. Ist das ein Traum?
Ohne dass ich Zeit gehabt hätte, Maximilian Kolbe etwas zu sagen, wurde ich wieder auf meinen Platz gesetzt. Ich wurde gerettet … Die Nachricht sprach sich schnell im ganzen Lager herum. Es war das erste und letzte Mal, dass ein solcher Vorfall in der ganzen Geschichte von Auschwitz geschah.
Lange Zeit empfand ich Gewissensbisse, wenn ich an Maximilian dachte. Indem ich zuließ, dass ich gerettet wurde, hatte ich sein Todesurteil unterschrieben. Aber jetzt, beim Nachdenken, verstand ich, dass ein Mann wie er nicht anders handeln konnte. Vielleicht dachte er, dass sein Platz als Priester an der Seite der Verurteilten war, um ihnen zu helfen, die Hoffnung zu bewahren. Tatsächlich war er bis zum Schluss bei ihnen.“[2]
Ein persönliches Zeugnis über die Art und Weise, wie Maximilian Kolbe dem Tod begegnete, gibt uns Bruno Borgowiec, einer der wenigen Polen, die für den Dienst im Hungerbunker eingeteilt waren. Er berichtete seinem Gemeindepfarrer, bevor er 1947 starb:
„Aus der Zelle, in der diese Unglücklichen lebend begraben waren … hörte man täglich die laut gesprochenen Gebete, den Rosenkranz und die frommen Gesänge, denen sich die Verdammten der Nachbarzellen anschlossen … Sooft ich dort hinabstieg, ertönten inbrünstige Gebete und Hymnen an die heilige Jungfrau über den ganzen unterirdischen Bau. Pater Maximilian Kolbe begann immer und alle anderen fielen ein … Dann kamen die Tage des entsetzlichen Hungers … Wenn die Zellen geöffnet wurden,“ erzählt Borgoviec, „flehten die armen Unglücklichen heftig weinend nach einem Stück Brot, einem Schluck Wasser … Auch während dieser Tage hat sich Pater Maximilian Kolbe wie ein Held benommen: Er bat um nichts und beklagte sich über nichts. Er machte den anderen Mut …“[3]
Über zwei Wochen dauerte für Maximilian dieses qualvolle Martyrium. Man kann sich vorstellen, wie er seinen Mithäftlingen, einem nach dem anderen beim Tode beistand. Zuletzt war er noch der Einzige, der bei Bewusstsein war, drei weitere lagen bewusstlos am Boden. Er wartete nun auf den Moment, da ihn seine schöne „Mamusia“[4], wie er Maria liebevoll nannte, abholen würde, um ihm die rote Krone zu überreichen, die sie ihm schon als kleinen Jungen in der Kirche von Pabianice versprochen hatte. Da man die Zelle wieder brauchte, wurde der Henker mit vier Karbolspritzen herbeigeholt.
„Und nun“, erzählt Bruno Borgoviec, „reichte Pater Kolbe, das Gebet auf den Lippen, dem Henker von selbst den Arm. Ich ertrug es nicht länger, meine Augen wollten nicht schauen, und unter einem Vorwand – ich hätte im Büro zu tun – entfloh ich…“[5]
„Als die Wächter der Gestapo mit dem Henker gegangen waren … stieg ich wieder hinab … als ich die Eisentür öffnete, lebte Pater Maximilian Kolbe nicht mehr. Sein Gesicht strahlte auf ungewöhnliche Weise. Seine Augen waren weit geöffnet und auf einen Punkt ausgerichtet. Seine ganze Erscheinung, als sei sie in Ekstase. Ich werde diesen Augenblick nie vergessen können.“[6]
Es war der Vorabend des Festes Mariä Himmelfahrt, der 14. August 1941.
Seine heroische Hingabe war der Höhepunkt eines heroischen Lebens. Dies fiel auch in den Monaten von Auschwitz auf. Maximilian Kolbe teilte seine kargen Mahlzeiten mit anderen, tröstete die Mitgefangenen, hielt Vorträge über Maria, hörte Beichte, stand den Sterbenden bei und konnte sogar zweimal die hl. Messe lesen. Ein eindrückliches Zeugnis gibt uns der evangelische Lagerarzt Dr. Diem: „In jenem Konzentrationslager in dem der allgemeine Kampf um das Leben, den der Selbsterhaltungstrieb in einem jedem ausgelöst hatte, allem Denken und Handeln der Häftlinge zugrunde lag, hatte Pater Maximilian Kolbe durch seine moralische Haltung, das heißt durch seinen lebendigen Glauben an den Herrn und an die Vorsehung, in seiner christlichen Hoffnung und vor allem in seiner Liebe zu Gott und zum Nächsten bereits alle überholt, und vor allen hatte er sich bereits ausgezeichnet, noch bevor es zur letzten Heldentat kam. Ganz gewiss habe ich nie einen Mann wie ihn im Lager Auschwitz kennengelernt, obwohl ich tagtäglich mit Hunderten von Häftlingen zu tun hatte, unter denen es Priester gab, Mönche, Professoren, Fürsten, Künstler, Männer aus allen gesellschaftlichen Schichten. Ich wiederhole: Ich war vom Januar 1941 bis Januar 1945 in jenem Lager, und mir ist kein anderer Fall einer so sublimen[7] Nächstenliebe bekannt.“[8]
Pro amore usque ad victimam – Alles für die Liebe bis zum Opfer. Dies war das Leitwort unseres Heiligen, seit seiner Primiz. Da er sich der Immaculata ganz hingegeben hatte, führte sie ihn unter das Kreuz und lehrte ihn, geistigerweise mit ihr unter dem Kreuz zu stehen, den Blick auf Christus gerichtet, in der Nachahmung seiner Hingabe bis zum Äußersten: „Niemand hat eine größere Liebe, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Jo 15,13).
Autor: Benjamin Aepli
Erschienen in: MI-Ritter-Zeitschrift, Ausgabe Mai 2021
[1] https://m-i.info/de/zeugnis-seines-lebensopfers/, abgerufen am 29.03.2021.
[2] http://www.auschwitz.dk/Kolbe.htm, abgerufen am 29.03.2021.
[3] S. C. Lorit, Chronik der letzten Tage, Paul Pattloch Verlag, Aschaffenburg 1974, S. 20,21.
[4] Polnisch für Mütterchen.
[5] Ebd. S. 65.
[6] Ebd. S. 81.
[7] Erhabenen.
[8] Ebd. S. 118.