Am Karfreitag vollzieht sich das unfassbarste Geschehen der Heilsgeschichte. Der menschgewordene Sohn Gottes trägt durch sein freiwilliges und ein schier unvorstellbar grausames Leiden[1] die Sündenschuld aller Menschen. Denn unsere Sünden – jedes einzelnen von uns – sind es, die Jesus das erdulden lassen, woran wir nur mit tiefster Zerknirschung des Herzens und gleichzeitig mit größter Dankbarkeit denken können.
Jesus leistet dem himmlischen Vater eine vollkommene Genugtuung für alle unsere Vergehen, Beleidigungen, Nachlässigkeiten und Sünden, sodass durch die Verdienste dieses Opferlammes alle gerettet werden können, die es wollen und die sich mit aufrichtigem Herzen ihrem Erlöser und Heiland zuwenden.
Und die erste Frucht dieser Erlösung zeigt sich im reuigen Schächer, dem der Heiland das Paradies verheißt: „Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“(Lk 23,43)
Karfreitag ist keine schmähliche Niederlage, sondern der endgültige Triumph über Sünde und Tod. Denn unmöglich konnte derjenige vom Tod festgehalten werden, der der Urheber des Lebens und der ewige Abglanz des himmlischen Vaters ist.
Das Kreuz ist der sichtbarste Ausdruck und Inbegriff der unendlichen und erbarmenden Liebe Gottes zu uns, seinen leider nur all zu oft murrenden und undankbaren Geschöpfen. Der Herr betet für seine Peiniger: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Die stigmatisierte Mystikerin und jahrelang ans Krankenbett gefesselte, seliggesprochene Ordensfrau Anna Katharina Emmerich sieht und beschreibt in ihren Visionen[2] in ergreifender Weise das Geschehen am Karfreitag. Die folgenden Abschnitte[3] sollen uns Hilfe sein, das Leiden unseres Herrn mit Nutzen für uns zu betrachten.
Die Aufrichtung des Kreuzes[4]
„Es war ein erschreckender und zugleich rührender Eindruck, als unter Hohngeschrei der Schergen und Pharisäer und vieles entfernten Volkes, das ihn nun auch sehen konnte, das Kreuz empor schwankte und erschütternd niederstieß; aber auch fromme, wehklagende Stimmen erhoben sich zu ihm. Die heiligsten Stimmen der Erde, die jammernde Stimme der Mutter und der Freundinnen und des Freundes und aller, die reinen Herzens waren, begrüßten das am Kreuz erhöhte, ewige, Fleisch gewordene Wort mit rührender Wehklage, und alle Hände der Liebenden streckten sich bang, als wollten sie helfen, empor, da der Heiligste der Heiligen, der Bräutigam aller Seelen, lebendig an das Kreuz genagelt, in den Händen der tobenden Sünder empor schwankte. Als aber das Kreuz mit lautem Hall aufrecht in die Sandgrube hineinkann, trat ein kurzes Schweigen ein. Alles schien von einem neuen, nie dagewesene Gefühle überrascht. Selbst die Hölle fühlte den Stoß des sinkenden Kreuzes mit Schrecken und bäumte sich nochmals in ihren Werkzeugen mit Hohn und Fluch gegen dasselbe. Bei den armen Seelen aber und in der Vorhölle[5] war ein bang harrende Freude, sie horchten auf jenen Stoß mit sehnsüchtiger Hoffnung, er tönte ihnen wie das Pochen des nahenden Siegers an den Toren der Erlösung. …
Als unser Heiland an dem Kreuze aufgerichtet stand und das Hohngeschrei auf wenige Minuten durch ein schweigendes Staunen unterbrochen war, schallte der Ton vieler Trompeten und Posaunen vom Tempel herüber und kündete das begonnene Schlachten des Osterlammes, des Vorbildes, an, indem er das Hohn- und Wehgeschrei um das wahre geschlachtete Lamm Gottes mit ahnungsvoller Feierlichkeit unterbrach. Und es ward manches harte Herz erschüttert und gedachte der Worte des Täufers: Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünden der Welt auf sich genommen hat.“
Der sterbende Heiland schenkt uns in der Person des hl. Johannes seine Mutter[6]
„Die Mutter Jesu, Magdalena, Maria Chleophä, Maria Magdalena und Johannes standen aber zwischen den Kreuzen der Schacher um Jesu Kreuz und schauten den Herrn an. Und die heilige Jungfrau, ganz von Mutterliebe überwältigt, flehte innerlich sehr inbrünstig, Jesus möge sie doch mit ihm sterben lassen. Da blickte der Herr seine liebe Mutter gar ernst und mitleidig an, und wendete seine Augen zu Johannes und sagte zu ihr: ‚Frau, siehe, das ist dein Sohn; er wird noch mehr dein Sohn sein, als wenn du ihn geboren hättest.` Er lobte auch noch Johannes und sagte: ‚Er ist immer arglos glaubend gewesen und hat sich nicht geärgert, außer damals, als seine Mutter ihn erhöht haben wollte.‘
Zu Johannes aber sagte er: ‚Sieh, das ist deine Mutter!` und Johannes umarmte die Mutter Jesu, die nun auch seine Mutter geworden war, ehrerbietig wie ein frommer Sohn unter dem Kreuze des sterbenden Erlösers.
Und Anna-Katharina Emmerich beschreibt weiter, warum Jesus seine Mutter als „Frau“ anspricht und nicht als „Mutter“:
So verwundert man sich gar nicht, dass Jesus die heilige Jungfrau nicht als Mutter anspricht, sondern Frau. Denn man fühlt sie in ihrer Würde als die Frau, welche der Schlange das Haupt zertreten sollte in dieser Stunde, da durch den Opfertod des Menschensohnes, ihres Sohnes, jene Verheißung wahr geworden ist. Man wundert sich dort nicht, dass er ihr, die der Engel gegrüßt: ‚Du bist voll der Gnade!` den Johannes zum Sohne gibt, weil man sieht, dass dessen Name ein Name der Gnade ist, denn dort sind alle das, was sie heißen. Und Johannes war ein Kind Gottes geworden, und Christus lebte in ihm.
Man fühlt dort, dass Jesus mit jenen Worten Maria allen zur Mutter gegeben hat, welche, ihn wie Johannes aufnehmend, und an seinen Namen glaubend, Kinder Gottes werden und nicht aus Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.
Man fühlt dort, dass die Reinste, die Demütigste, Gehorsamste, welche, zu dem Engel sprechend: ‚Siehe die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort`, die Mutter des ewigen Fleisch gewordenen Wortes geworden war, jetzt, da sie von ihrem sterbenden Sohn vernimmt, dass sie nun auch eine geistliche Mutter eines anderen Sohnes sein solle, mitten in den zerreißenden Schmerzen des Abschieds wieder demütig in ihrem Herzen gesprochen hat: ‚Sieh ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort!` Und dass sie alle Kinder Gottes, alle Brüder Jesu als ihre Kinder aufnahm.“
Die Zeichen in der Natur[7]
Ist es verwunderlich, dass bei diesem unfassbaren Geschehen, beim Sterben dessen, der doch der Schöpfer aller Dinge ist, sich auch die Elemente der Natur in Entsetzen aufbäumten?
Auch die Evangelien beschreiben uns die Zeichen in der Natur bis hin zu Erscheinungen von Toten. So heißt es bei Matthäus:
„Von der sechsten Stunde an brach eine Finsternis[8] über das ganze Land herein bis zur neunten Stunde. (Mt 27,45) … Jesus aber rief nochmals mit lauter Stimme; dann gab er seinen Geist auf. Da riss der Vorhang des Tempels von oben bis unten entzwei, die Erde bebte, die Felsen zersprangen; die Gräber öffneten sich auf, und viele Leiber der Heiligen, die entschlafen waren, standen auf. Sie kamen nach seiner Auferstehung aus den Gräbern heraus, gingen in die Heilige Stadt und erschienen vielen.“ (Mt 27, 50 – 53)
Im folgenden die Beschreibung der Vorgänge, wie Anna-Katharina Emmerich in ihren Visionen diese sieht und welche Wirkung diese Zeichen der Natur auf die Menschen hatte.
„Es war nun ungefähr halb zwei Uhr, und ich wurde in die Stadt geführt zu sehen, wie es dort hergehe. Ich fand eine allgemeine Angst und Bestürzung, Nebel und Nacht lagen in den Straßen, die Menschen tappten verirrt umher, viele lagen in Winkeln mit verhülltem Haupte und schlugen an die Brust, viele schauten nach dem Himmel und standen auf den Dächern und wehklagten. Die Tiere brüllten und verbargen sich, die Vögel flogen niedrig und fielen nieder. Ich sah, dass Pilatus den Herodes besucht hatte, und dass sie in großer Bestürzung nach dem Himmel schauten, auf derselben Terrasse, von welcher Herodes am Morgen die Verspottung Jesu mitangesehen hatte. Dies sei nicht natürlich, sagten sie, Jesus sei gewiss zu viel geschehen. Ich sah hierauf Herodes mit Pilatus nach dessen Palast über das Forum gehen, sie waren beide sehr geängstigt und gingen mit starken Schritten, von Wachen umgeben. Pilatus schaute nicht nach dem Richterstuhle Gabbatha hin, wo er Jesus verurteilte.
Im Tempel herrschte Angst und Schrecken im höchsten Grade, sie waren im Schlachten des Osterlamms begriffen, als die plötzliche Nacht einfiel, alles war verwirrt, und hie und da brach bange Wehklage aus. Die Hohenpriester taten alles, um die Ruhe und Ordnung zu erhalten. Man steckte alle Lampen beim hellen Tage an, aber die Verwirrung ward nur noch grösser. Ich sah Annas in peinliche Angst geraten, er lief aus einem Winkel in den anderen, sich zu verbergen.
Als ich wieder zur Stadt hinausging, bebten die Schirme und Gitter vor den Fenstern der Häuser, und es ward doch kein Sturm. Die Dunkelheit ward immer grösser. Ich sah auch im äußeren Teile der Stadt an der West-Nordgegend, gegen die Stadtmauer zu, wo viele Gärten und Gräber sind, einzelne Grabeingänge einsinken, als wanke der Boden.
Gebet (Antiphon vom Karfreitag)
Dein Kreuz verehren wir, o Herr; wir preisen und verherrlichen Deine heilige Auferstehung; den sieh, durch das Holz entstand Freude in aller Welt (Ps. 66, 2). Gott möge Sich unser erbarmen und uns segnen; Er lasse Sein Antlitz über uns leuchten und erbarme Sich unser.
[1]Der Film „Die Passion“ von Mel Gibson zeigt in erschütternder Deutlichkeit, was sich hier abgespielt hat. Aber auch wer um das Grabtuch von Turin weiß, erkennt darin den geradezu dramatischen, naturwissenschaftlich nachprüfbaren Beweis für das ungeheure Ausmaß an Leiden, die der Herr – für uns – erduldet hat.
[2]Diese können natürlich nicht historische Zuverlässigkeit in jeglichem Detail beanspruchen, auch nicht die von der Seherin beschriebenen Umstände, oder Worte, die sie dem Heiland in den Mund legt, aber nicht durch (göttliche) Offenbarung belegt sind. Jedoch ist ihnen ein großes menschliches Maß an Glaubwürdigkeit zuzuschreiben. So wurde aufgrund ihrer Visionen und Beschreibungen das Haus der Mutter Gottes in Ephesus gefunden. Das heiligmässige und von vielen Leiden gezeichnete Leben der Anna-Katharina Emmerich ist außerhalb jeder Frage. Festgehalten und aufgeschrieben wurden ihre Visionen von dem Dichter Clemens Brentano
[3]Anna-Katharina Emmerich „Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi“ Christian Verlag, Stein am Rhein; 13. Auflage 1985
[4] Ebd. S. 276f
[5]Die Vorhölle wird als jener Ort bezeichnet, in dem die Gerechten des Alten Testaments auf ihre Erlösung warten mussten. Denn der Himmel und das Eingehen in die Herrlichkeit des Paradieses war den Menschen verschlossen.
[6] Ebd. S.286f
[7]Ebd. S.288f
[8]Diese Finsternis und Dunkelheit lässt sich keinesfalls natürlich erklären, wie etwa durch eine totale Sonnenfinsternis. Denn eine solche dauert maximal 7 Minuten und niemals mehrere Stunden. Diese Finsternis wird auch von den anderen Evangelisten erwähnt, nämlich von der sechsten bis zur neunten Stunde. Und eine partielle Sonnenfinsternis wird zumeist von den Menschen gar nicht wahr genommen.
Bilderquellen:
- Zitat der Woche: Kreuzigungstriptychon, Rogier van der Weyden, Public domain, via Wikimedia Commons
- Jesus am Kreuz, Cristo del Consuelo, Das Olecense, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
- Die ekstatische Jungfrau Katharina Emmerich, Gemälde von Gabriel von Max, 1885, Public domain, via Wikimedia Commons
- Kreuzigung Christi mit Maria, Maria Magdalena und Johannes, Public domain, via Staatsgalerie.de
- Das Gemälde „Die Kreuzigung Christi auf Golgatha“ von Pietro Sassi, RichardRowan, CC0, via Wikimedia Commons