Brief Nr. 3 an die Ritter der Immaculata
Liebe Ritter der Immaculata!
Erlauben Sie mir, Ihnen heute wiederum zu schreiben, um Ihnen vor allem die große Freude mitzuteilen, dass dieses Wochenende in den Philippinen, auf der Insel Leyte, insgesamt 345 neue Ritter in die Militia Immaculatae aufgenommen wurden. Damit ist die Zahl der Ritter in Asien auf über 3000 gestiegen.
Aber eine nicht mindere Freude war es für mich, im Geiste der Aufnahme der ersten Ritter in meinem Heimatpriorat Rheinhausen beizuwohnen, die sich durch eine ganz besondere Novene auf diesen Tag vorbereiteten. Die Novene bestand in der Betrachtung des Kommentars zum Weihegebet: Der heilige Maximilian hatte diesen Kommentar selbst verfasst, um die Ritter tiefer in den Sinn der Weihe einzuführen. Ich habe mir diese geniale Idee sofort zu Eigen gemacht und wir werden hier in Asien die zukünftigen Ritter ebenso vorbereiten.
In der Tat ist dieses Weihegebet in seiner Einfachheit und Tiefe die wohl beste Zusammenfassung der ganzen MI, und deshalb sollten wir es immer wieder betrachten.
Schon der Anfang „O Immaculata” ist in sich ein wunderbares Stoßgebet, das für jede Situation des Lebens passt: in Kreuz und Leid ein richtiger Stoß-Seufzer, in Freude und Glück ein Jubelruf, in jeder Situation ein Ausdruck des Dankes, der Bitte, der Hingabe, des Glaubens, des Vertrauens, der Liebe. Dieser Anruf findet sich ebenfalls in herrlicher Weise ausgedrückt im Refrain des Liedes: „Immaculata, schütze Dein Kind”. Die aufsteigende Melodie im Worte „Immaculata” ist wie das Aufatmen des Herzens im Anblick der Reinsten, Unbefleckten, Mächtigsten. Wie muss SIE sich über diese Jubelklänge, aus tiefster Seele kommend, freuen; besonders da sie IHR tiefstes Herzensgeheimnis preisen: ihre unfassbare Heiligkeit, ihre Vereinigung mit dem Heiligen Geist, der im Geheimnis der Dreifaltigkeit der EWIG HEILIGE, IMMACULATUS ist.
In diesem Sinne sollten wir jedes Wort des Weihegebetes betrachten. Hier in Asien fällt mir besonders auf, dass die Worte „und unsere Mutter, die uns SO SEHR LIEBT”, eine ganz besondere Atmosphäre schaffen, die man kaum beschreiben kann: die Ritter legen so viel Kraft und Hingabe in die Worte „so sehr”, dass man unwillkürlich berührt ist von so viel Einfachheit des Herzens, von so viel Überzeugung. Es scheint, die Leute hier hätten persönlich erfahren, dass sie so sehr geliebt sind. „So sehr” bedeutet ja: über alles, grenzenlos, unvergleichbar mit keiner anderen noch so großen geschaffenen Liebe. Dieses kleine Wort „so sehr“ führt uns in der Tat mitten in IHR eigentlichstes Wesen: Maria ist die „Mutter der schönen Liebe”, ihr ganzes Wesen ist nur Hingabe und liebendes Erbarmen, aber „so sehr“, dass es unser Fassungsvermögen unendlich übersteigt.
Mit unserer Liebe hat es schnell ein Ende, wenn jemand uns beleidigt oder verletzt. Für SIE, die „Zuflucht der Sünder”, gibt es keine Grenzen: Sie liebt uns „so sehr“, dass keine noch so große Sünde, kein noch so großes Verbrechen ihr mütterliches Herz abschrecken könnte. Wenn wir auf uns selber schauen, könnten wir SIE manchmal fragen: „Mutter, ich habe Dich tausende Male beleidigt, Dein unbeflecktes Kleid mit unreinem Schmutz beworfen und bis heute bin ich so oft gleichgültig und untreu. Wie ist es möglich, dass Du mich immer noch liebst?” Und sie würde antworten: „Mein Kind, Du kennst Deine Mutter nicht! In jedem Augenblick Deines Lebens sind meine Augen mit innigster Liebe auf Dich gerichtet, immerwährend will ich Dir helfen, und auf jedes schlechte Wort, auf jede böse Tat, auf jeden schmutzigen Gedanken antwortet mein von Dir geschlagenes Herz mit ununterbrochenem liebendem Flehen zu meinem Sohne, ER möge Dir die Gnaden der Bekehrung schenken.”
Wenn wir nur ein wenig tiefer in Mariens Herz eindringen, stellen wir sogleich fest, wie wenig wir SIE kennen, wie wenig wir IHRE Liebe schätzen und wie gering unser Glaube daran ist. Der hl. Bernhard hat diese Liebe verstanden, wenn er betet, es sei „nie gehört worden, dass, wer auch immer zu Dir seine Zuflucht nahm, jemals verlassen worden sei”. So sehr liebt SIE uns!
Wenn aber Maria uns trotz unserer Unwürdigkeit „so sehr” liebt, dass Sie uns so gerne in jedem Augenblick „alle Gnaden der Bekehrung und Heiligung” geben und uns zu großer Heiligkeit führen möchte, dann müssen wir darauf eine doppelte Antwort geben:
Zuerst müssen wir selber versuchen, uns einer solchen Liebe weniger unwürdig zu erweisen, indem wir IHR immer mehr erlauben, uns „so sehr“ zu lieben. Indem wir an die Macht ihrer Liebe glauben und in Dunkel und Verlassenheit auf ihre Liebe vertrauen: „Mutter ich weiß, dass Du mich niemals im Stich lässt, sondern immer für mich da bist, selbst in den dunkelsten Stunden“. Indem wir in allen Dingen wie Kinder zur Mutter gehen und ihrem liebenden Herzen alles anvertrauen, nicht nur vieles sondern alles!
Dann aber muss unser Herz von der Sehnsucht eines hl. Maximilian, einer hl. Theresia erfüllt sein: dass auch andere Seelen die „so große Liebe“ der besten aller Mütter kennenlernen. Dank IHRER „so großen Liebe“ zu uns durften wir die Wahrheit kennenlernen und den einzigen Weg, der zum ewigen Glück führt. Wie sehr möchte SIE ihre „so große Liebe” allen ihren Kindern zeigen! Und genau das ist das Wesen des Ritters der Immaculata: Werkzeug in ihren Händen zu sein, damit ihre Liebe „so sehr” in die Seelen dringen kann, dass sie sich zum Heiland bekehren und gerettet werden.
Betrachten wir oft in tiefer Dankbarkeit unser Weihegebet und lassen wir uns jedes Mal von ihrer Liebe bewegen und unser Herz mit großem Verlangen erfüllen:
„Sich ihr selbst nähern, ihr ähnlich werden, ihr erlauben, dass sie immer unser Herz und Wesen beherrscht, damit sie durch die Menschen lebt und wirkt, damit sie Gott mit unserem Herzen liebt. Dass wir ihr angehören, uneingeschränkt – das ist unser Ideal!
Auf unsere Umgebung ausstrahlen, für sie die Seelen erobern, damit sich ihr die Herzen unserer Nächsten öffnen, damit sie in allen Herzen herrsche, die überall auf der Welt schlagen, ohne Unterschied der Rasse, der Nationalität, der Sprache, und dass sie in allen Herzen sei, die jemals sein werden bis zum Ende der Welt – das ist unser Ideal!
Und dass ihr Leben sich in jeder Seele ausweite und wachse, in jeder Seele, die da ist und sein wird – das ist unser teures Ideal!"
Manila (Philippinen), am 3. November 2015
Pater Karl Stehlin