Der Jahreswechsel ist ein passender Anlass, sich über das Lebensziel Gedanken zu machen. Im Trubel des Alltags verliert man es so schnell aus den Augen. Das Ziel von uns Getauften ist es, durch ein Leben der Liebe einst ewig mit Gott im Himmel vereint zu sein. Die Liebe ist also unser Ziel hier auf Erden. Der tätige Ausdruck der Liebe ist die Hingabe, in erster Linie an Jesus und Maria, und daraus folgend an unsere Nächsten. Ein hoher Anspruch, ein hehres Ziel!
Wie können wir es konkret umsetzen? Jesus sagte zur Mystikerin und Dienerin Gottes Schwester Consolota Betrone: „Das kostbarste Geschenk, das du mir geben kannst, ist: ‚Jesus, Maria, ich liebe Euch, rettet Seelen!‘ – Liebe und Seelen, was gibt es Schöneres! Es ist der einzige Vorsatz, der dir die Kraft gibt, ‚Ja‘ zu sagen zu der Forderung nach Opfer. Erneuere ihn jede Stunde. Dieser Vorsatz enthält alle anderen. Bist du diesem Vorsatz treu, hältst Du alle anderen.“ (Quelle: Jesus spricht zur Welt von Lorenzo Sales)
Nachstehender Artikel wurde erstmals in der MI-Zeitschrift „Ritter der Immaculata“ im 3. Jahrgang Nr. 2 / 2018 publiziert und soll uns ermutigen, das Herzensgebet zu praktizieren.
Wir alle kennen die Herausforderung: Wie gelingt es, unseren Glauben, unsere Gottverbundenheit, unsere Beziehung zu Jesus und Maria im Alltag zu leben? Wie vermeiden wir, dass unser Leben zweigeteilt ist: die Zeit in der Kirche und beim Gebet – und dann das „richtige Leben“, in dem Gott und unsere Beziehung zu ihm kaum eine Rolle spielen. Durch das Herzensgebeta kann es uns gelingen, die Brücke zwischen diesen zwei Lebenselementen zu schlagen, sodass wir ganze Christen sind, die ihr Lebensziel vor Augen haben: „Das einzige Ziel dieses Lebens ist, Gott in innigster Freundschaft und mit ganzem Herzen zu lieben.“1
Betet ohne Unterlass
Das Herzensgebet geht in seinem Ursprung auf die Bibel, unseren Herrn und die Apostel zurück: Schon der Psalmist wendet sich immer wieder mit dem Ruf „Erbarme Dich meiner, o Herr“ an Gott. Jesus lehrt uns, warum wir allezeit beten sollen, ohne nachzulassen (Lk 18,1), und auch Paulus verlangt, ohne Unterlass zu beten (1 Thess 5,17).
Es waren die Mönche Ägyptens, welche als erste begannen, eine Methode des Herzensgebets zu entwickeln. Dies bezeugt bereits Augustinus: „Man sagt, die Brüder in Ägypten hätten gewisse, häufig wiederholte Gebete, die jedoch äußerst kurz sind und schnell wie Speere geschleudert werden.“2
Wenn wir heute auch nicht mehr so vertraut sind mit diesen großen Mönchsgestalten und ihrer Literatur, so sind es die uns vertrauten Heiligen, die uns Zeugnis von dieser Praxis geben. Zuerst denken wir an unseren Patron, den hl. Maximilian: „Die beste Andacht zur Immaculata ist nicht das Hersagen vieler Gebete, sondern das schlichte, innige Verhältnis des Kindes zur Mutter, welches sich am besten ausdrückt durch kurze, aber sehr innige und sehr oft erweckte Stoßgebete.“3
Vom hl. Franziskus wird berichtet: „Immer war er mit Jesus beschäftigt, Jesus trug er stets im Herzen, Jesus im Munde…“4
Der hl. Ludwig schreibt von den Aposteln der letzten Zeiten, dass sie in ihrem Herzen die heiligsten Namen Jesus und Mariens tragen.5
Das Herzensgebet (auch unter dem Namen Jesusgebet verbreitet) besteht darin, eine bestimmte Anrufung, die in der Regel den Namen Jesus enthält, im Alltag beständig zu wiederholen. Von den Mönchsvätern sind Formeln wie „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner“ und „Herr, Jesus Christus, erbarme dich meiner“, überliefert. Es kann aber auch ein anderes kurzes Stoßgebet sein – in der MI empfehlen wir besonders diese Formel: „Jesus, Maria, ich liebe euch, rettet Seelen!“ Sie enthält sowohl die Liebe zu Jesus und Maria mit der Anrufung der zwei heiligen Namen, als auch das Gebet um die Rettung der Seelen.
Die beständige Wiederholung einer bestimmten Formel soll eine Hilfe sein, den Geist zu erheben und zu sammeln. Cassian vergleicht es mit einem noch unverständigen Kind, das gewisse Buchstaben und Formeln durch beständiges Schreiben übt, auch wenn es noch nicht alles versteht. Er schreibt weiter: „Diese Formel soll der Geist unaufhörlich festhalten, bis er gestärkt durch ihren immerwährenden Gebrauch und die beständige Erinnerung alle Gedankenüberfülle und die vielen geistigen Lasten zurückweise und wegwerfe. In der strengen Armut dieser Verse gelange er so mit großer Leichtigkeit zu jener Seligkeit des Evangeliums, welche unter allen die erste ist. Denn ‚selig‘, heißt es, ‚sind die Armen im Geiste, weil ihrer das Himmelreich ist‘. Wer nun durch solche Armut ein herrlicher Armer geworden ist, der erfüllt das prophetische Wort: ‚Lass die Armen und Elenden rühmen deinen Namen‘(Ps 74,21).“6
So bringt es viele Früchte
Eine erste Frucht wurde bereits angesprochen: Die Reinigung des Geistes. Durch das aktive Betätigen mit dem Herzensgebet kann dieser von den Zerstreuungen, Sorgen und dem ständigen Kreisen um das eigene Ich weggeführt werden. Diese Frucht ist gleichzeitig auch Bedingung, um im Gebet beharrlich zu sein: „Versuche dich selbst zu vergessen, um nur an IHN und an unsere Mutter zu denken.“7 Wie viel Zeit, Kraft und Gedanken verschwenden wir ohne dieses besondere Bemühen!
Das Herzensgebet schützt uns vor den Angriffen durch die Welt, den Teufel und unser Fleisch: „Wirf deinen Anker in den Abgrund des Gebets, und dein Lebensschifflein widersteht mit Gottes Gnadenkraft allen Wogen Satans, den Fluten und Stürmen dieser dunklen, trügerischen und eitlen Welt … Das Schifflein ist dein Herz; wache darüber! Das Ankerseil ist dein Geist. Ihn kette an unseren Herrn Jesus Christus, der ja der Eckstein ist und die Macht über alle Fluten und Teufelswogen hat, die Heilige bestürmen.“8
Das Herzensgebet vereinigt uns mit Jesus und Maria und hilft uns dadurch, in der Liebe zu bleiben und die Lauheit zu bekämpfen. So bezeugt die hl. Theresia von Lisieux: „Wenn ich keine Gelegenheit finde, Jesus Freude zu bereiten, sage ich ihm wenigstens wieder und wieder, dass ich ihn liebe; das ist nicht schwierig und erhält das Feuer in meinem Herzen. Auch wenn dieses Feuer der Liebe ausgelöscht scheint, so werfe ich dennoch kleine Strohhalme auf die Glut, und ich bin sicher, dass es sich wieder entzündet.“9
Das beständige Beten macht unser Wirken fruchtbar und gibt uns Kraft. So sagt uns Jesus: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viele Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“10 Wenn wir möchten, dass unsere Arbeit und unser Apostolat fruchtbar werde, dann können wir uns die Makkabäer zum Vorbild nehmen, von denen es heißt: „Mit den Händen kämpften sie, mit den Herzen aber beteten sie zu Gott.“11 Es gilt also, der Neigung sich zu verausgaben, um schneller zu arbeiten und mehr zu leisten, mit Überzeugung entgegenzutreten. Der hl. Franz von Sales vergleicht es mit einem Kind, das sich mit einer Hand am Vater festhält und mit der anderen die Beeren pflückt. „So sammle und gebrauche auch du die irdischen Güter mit der einen Hand, mit der anderen Hand halte dich an der Hand des himmlischen Vaters fest … Hüte dich vor allem, seine Hand loszulassen … in der Meinung, du könntest dann mehr zusammenraffen.“12
Das Herzensgebet bewahrt uns vor der Sünde und reinigt unser Herz wie das Gold im Feuer: „Wer sich um die Reinigung seines Herzens bemüht, der soll sie durch die Übung der Gegenwart Jesu erwerben … Wenn man sich vor dem Verderben bewahren will, dann heißt es in jedem Augenblick beten. Man muss jederzeit beten und den Geist gesammelt halten, selbst außerhalb der Gebetszeiten. Wer das Gold-Erz schmelzen will, der darf keinen Augenblick das Feuer im Schmelzofen ausgehen lassen, sonst behält das Erz seine Härte. Dem, der sich bald an Gott erinnert, bald nicht, geht es ähnlich; denn er verliert durch die Unterbrechung, was er schon durch das Gebet erlangt hat. Der Mensch, der die Tugend liebt, ist derjenige, der unablässig durch die Erinnerung an Gott die irdischen Schlacken des Herzens entfernt.“13
Durch die Praxis des Herzensgebets im Alltag wird auch unser übrige Gebetsleben befruchtet und gewinnt an Sammlung: „Denn sehr wenig betet der, der nur gewohnt ist, in der Zeit zu beten, in welcher die Knie gebogen sind … Wie wir also beim Beten uns befinden wollen, so müssen wir auch vor der Gebetszeit sein. Denn notwendig muss das Verhalten des Geistes zur Zeit seines Gebetes dem vorausgehenden Zustande entsprechen…“14
Herr, lehre uns beten!
Wie können wir mit dem Herzensgebet beginnen? Nachdem wir uns für eine bestimmte Formel entschieden haben (bei der wir für eine Weile bleiben, damit das Gebet Wurzeln schlagen kann), können wir damit beginnen, gewisse Zeiten des Tages diesem besonders zu widmen. Zeiten, in denen wir geistig nicht so sehr in Anspruch genommen werden: Der Weg zur Arbeit, Handarbeit etc. In einem solchen Zeitfenster versuchen wir folgenden Rat zu beherzigen: „Erhebe dich von der Liebe zur Welt und dem Vergnügen, wirf deine Sorgen ab, entledige dich der Gedanken und verleugne den Leib!“15
Das Herzensgebet findet so immer mehr Raum im Alltag. Daneben kann es eine Hilfe sein, gewisse Zeiten ganz dem Herzensgebet zu widmen, um dieses zu vertiefen und dann auch im Alltag besser zu üben. Das kann bei einem Besuch in der Kirche sein, oder anlässlich einer bestimmten Gebetszeit, z.B. zu Beginn des inneren Gebets. „Die Wiederholung des Namens [oder der Gebetsformel] gleicht dem Flügelschlag eines Vogels, durch den dieser sich in die Lüfte erhebt. Nie darf solches schwerfällig, erzwungen, hastig oder geräuschvoll geschehen. Vielmehr muss es ruhig, leicht und im wahrsten Sinne des Wortes gnadenhaft anmutig sein. Hat der Vogel die gewünschte Höhe erreicht, so gleitet er im Flug dahin und nur von Zeit zu Zeit schlägt er mit seinen Flügeln, um sich in der Luft zu halten. Genauso kann auch die Seele, wenn sie den Gedanken an Jesus in sich aufgenommen hat und von seiner Gegenwart erfüllt ist, aufhören, den Namen zu wiederholen und in seiner Gegenwart ruhen. Die Wiederholung soll erst dann wieder aufgenommen werden, wenn die Gefahr besteht, dass das Denken an Jesus von fremden Vorstellungen verdrängt wird. In diesem Fall sollte man wieder mit der Anrufung beginnen, um frischen Aufwind zu bekommen.“16
Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder
Das Herzensgebet ist ein einfaches Gebet, vergleichbar mit dem Stammeln eines kleinen Kindes, das noch nicht mehr sagen kann. So können auch schon Kinder sehr davon profitieren, wenn man sie in dieses einführt. P. Kassian Karg hat dies mit seinen Schriften sehr erfolgreich getan und nannte diese Gebetsform „Das kleine Geheimnis“. Jedes Kind kann sich ein Stoßgebet aussuchen, das dann sein „kleines Geheimnis“ ist. So wollen wir gerade auch unsere kleinen Ritter der MI zu dieser Gebetsform anspornen.
Wenn wir das Herzensgebet treu üben, wird es zu einer der wichtigsten Waffen von uns Rittern der MI. Sooft wir unseren Mitmenschen begegnen, können wir für ihre Rettung beten und gleichzeitig auch die Bewährung unserer Liebe zu Jesus und Maria üben:
„Der Krieg offenbart die Liebe des Soldaten zum König, die Liebe des Mönchs [des Ritters] zu Gott hingegen prüft die Zeit des Gebets und seine Gegenwart in diesem.“17
Quellenangaben:
a Mit Herzensgebet ist in diesem Artikel die christliche Gebetspraxis gemeint, welche auf die katholischen Mönchsväter der ersten Jahrhunderte zurückgeht. In neuerer Literatur findet man den Begriff „Stoßgebete“, welche, stetig geübt und zur Gewohnheit geworden, zum Herzensgebet werden können. Von häretischen Begriffsverwendungen, welche teilweise in der Ostkirche verbreitet sind, und als Gebetspraxis gegen den Rosenkranz propagiert werden, distanzieren wir uns ausdrücklich.
1 Diadochus, Kleine Philokalie, Patmos, 2013, S. 150
2 Gabriel Bunge, Irdene Gefässe, Der Christliche Osten, 2009, S. 150 3 Karl Stehlin, Die Immaculata unser Ideal, Alverna, 2017, S. 139 4 Emmanuel Jungclausen, Das Jesusgebet, Friedrich Pustet, 2008, S. 11 5 Ludwig Maria Grignion, Goldenes Buch, Lins Verlag, 1987, S. 40 6 Johannes Cassian, Gespräche mit Abba Isaac über das Gebet, Kleine Bibliothek der Kirchenväter, 2009, S. 65
7 The Writings of St. Maximilian Maria Kolbe, Volume 2, Nerbini International, 2016, Nr. 982 8 Makarius der Große, Kleine Philokalie, Patmos, 2013, S. 134 9 Theresia von Lisieux, saintquotes.blogspot.ch/2009/05/prayer.html?=1 10 Jo 15,5-6
11 2 Makk 15,27
12 Franz von Sales, Philothea, Franz-Sales-Verlag, 1995, S. 162 13 Diadochus, Kleine Philokalie, Patmos, 2013, S. 158
14 Johannes Cassian, Gespräche mit Abba Isaac über das Gebet, Kleine Bibliothek der Kirchenväter, 2009, S. 70
15 Johannes vom Sinai, Klimax/Himmelsleiter, Berg-Sinai-Stiftung, 2000, S. 332 16 Emmanuel Jungclausen, Das Jesusgebet, Friedrich Pustet, 2008, S. 23 17 Johannes vom Sinai, Klimax/Himmelsleiter, Berg-Sinai-Stiftung, 2000, S. 333