Mit der freundlichen Genehmigung des Verlages Peter Hehenwarter dürfen wir unseren Lesern als kleines Dankeschön für ihre Treue und Unterstützung im vergangenen Jahr eine Weihnachtsgeschichte aus dem Buch “Licht leuchtet heute über uns” vorstellen. Das Buch von Albert Maria Mandrella enthält 15 tiefsinnige Weihnachtsgeschichten und ist
im Sarto Verlag erhältlich.
Der dreifache Mut des Ritters
In einem kalten Land lebte einst ein stolzer und tapferer Ritter, Adalbert mit Namen. Er war so mächtig und reich, dass selbst die Könige und Fürsten nötig hatten, bei ihm Geld zu leihen, und keiner wagen konnte, einen Krieg zu beginnen, ohne Ritter Adalbert an seiner Seite zu wissen. Und das verdross den stolzen Ritter, denn er sagte sich: „Was ist das für eine Ehre, für einen König zu kämpfen, den ich an Reichtum und Macht übertreffe? Ach, wie sehr wünschte ich, einem König dienen zu dürfen, der wahrhaft ein König der Könige ist, über alles reich und machtvoll, Herr über allen Herren! Ich würde es als mein größtes Glück erachten, ihm meine Dienste zu schenken.“ Denn ein edles Herz hatte unser Ritter immerhin.
Eines Tages ergab es sich, dass Adalbert unterwegs an einem Kloster vorbeiritt, in dem gerade heilige Messe gefeiert wurde. Durch den Klang der Glocken neugierig geworden, hielt der Ritter an und betrat durch die geöffneten Tore die Kirche aus Stein. Es war eben die Predigt, und hinter einem Pfeiler verborgen, lauschte unser Ritter den Worten des Abtes, der gerade sprach vom „Herrn der Herren“ und „König der Könige“, dem zu dienen herrschen ist. „Alles liegt in Seiner Gewalt, die ganze Erde und was da ist, alles ist Sein!“ Oh, wie wurde es dem Ritter da heiß in seinem Herzen! Fiebrig rot stieg es in seine Wangen und Wort um Wort brannte sich tief in seine Seele. Das genau war er doch, der König der Könige und Herrscher der Herren, dem zu dienen seine ganze Sehnsucht war! Unruhig sprang er auf, und kaum war die Messe geendet, da eilte er in die Sakristei, den hochwürdigen Herrn Abt zu befragen.
„Der Herr, der König, von dem Ihr gepredigt habt“, rief er ungeduldig, „diesen König genau suche ich. Sagt an, wo kann ich Ihn finden!“ „Gemach, gemach“, erwiderte der Vater Abt, „diesen König findet man nicht so leicht.“ „Ich muss ihn aber finden, denn nur ihm will ich fortan dienen.“ „Nun, um diesen König zu finden und ihm zu dienen, braucht es drei Dinge.“ „Was für drei Dinge, schnell, was sind das für Dinge? Ich bin reich und mächtig genug, alles zu besorgen.“ „Mit Geld und Macht sind sie nicht zu erlangen.“ „Wie dann? Was ist es denn? Was sind die drei Dinge, die man braucht.“ „Nun gut, ich will es dir sagen“, seufzte der Abt, „es sind diese drei: es braucht Mut, Mut und nochmals Mut.“ Der Ritter lachte auf. „Ha, wenn’s weiter nichts ist! Mut habe ich für drei, ja für dreihundert, für dreitausend, wenn’s sein muss!“ „Nun gut, dann stelle deinen Mut unter Beweis. Willst du den König der Könige suchen, so musst du in das Land Palästina reisen, in den Ort Bethlehem. Es ist dies die Stadt des Königs David, und dort wirst du ihn finden.“ „Habt tausend Dank!“ rief der Ritter und viel vor dem Abt in die Knie, um seine Hände zu küssen, „ich will sofort eine Armee um mich sammeln und aufbrechen.“ „Halt! Keine Armee! Du musst alleine gehen, anders wirst du ihn nicht finden.“ „Verstehe“, nickte Adalbert, „er könnte sonst meinen, dass ich in feindlicher Absicht komme. Nun gut, ich mache mich alleine auf den Weg.“
Noch in derselben Nacht brach er auf. Er nahm sein bestes Pferd, seine besten Waffen und einige Beutel Gold mit sich, und so ritt er los, dem nächsten Seehafen zu. Denn man hatte ihm gesagt, Palästina sei auf dem Seeweg am besten zu erreichen. Fünfzig Tage und Nächte war er unterwegs, bis er in der Hafenstadt anlangte. Drei weitere Tage dauerte es, bis er ein Schiff gefunden hatte, das die Reise in die gewünschte Richtung antreten wollte und bereit war, ihn mitzunehmen. Es war ein Glück, dass er überhaupt ein Schiff gefunden hatte, denn um diese späte Jahreszeit wurde die Seefahrt kaum noch betrieben. Allerdings war die Überfahrt auch teuer genug.
Am vereinbarten Abend ging der Ritter an Bord des Schiffes. Das Pferd blieb noch draußen am Ufer stehen und sollte erst später aufs Schiff geladen werden. Adalbert betrat seine Kabine und legte sich, müde geworden von all den Aufregungen, zur Ruhe. Als Soldat war er es gewohnt, auch im Schlaf wachsam zu bleiben und auf jedes Geräusch zu reagieren. So erwachte er sofort, als er hörte, wie die Tür zur Kabine leise knarzend geöffnet wurde. „Er schläft“, hörte er ein leises Kichern. Gleich standen einige Gestalten in seiner Kabine, er erkannte den Kapitän des Schiffes und den Steuermann. „Sollen wir ihm gleich die Gurgel durchschneiden und ihn dann ausrauben?“ fragte letzterer. „Nein, nein, das machen wir erst auf dem Meer, da können wir die Leiche einfach über Bord werfen. Aber das Gold brauchen wir jetzt schon, wenn wir heute Abend noch ins Wirtshaus gehen wollen. Also los, alles durchsuchen!“ „Haha, hab schon was!“ triumphierte der Steuermann und hielt ein leise klingendes Säckchen in der Hand. Doch da hatte er nicht mit unserem Ritter gerechnet, der einstweilen heimlich nach seinen Waffen gegriffen hatte und nun plötzlich aufsprang. „Gebt mir sofort meinen Beutel zurück!“ „He, holla! Unser Passagier will streiten! Das kann er haben“, rief der Kapitän, und mit einem Pfiff rief er die bewaffnete Mannschaft herbei. Hei, das gab eine Schlacht! Unser Ritter focht tapfer, doch die Übermacht war zu groß. Schließlich gelang es ihm, sich ans Deck des Schiffes durchzuschlagen. Immerzu fechtend und die Hiebe der Piraten abwehrend drang er bis zur Reling durch und sprang ans Ufer. Mit einem Schwerthieb war das Tau seines Pferdes gelöst. Er sprang auf den Rücken seines treuen Tieres, teilte noch ein paar heftige Hiebe auf seine Gegner aus und jagte dann davon. Das Gold war verloren, ebenso Lanze und Schild, doch Leben, Pferd und Schwert gerettet.
An eine Überfahrt war nun nicht mehr zu denken, und so nahm unser Ritter Kurs aufs Gebirge. Denn über dieses Gebirge sollte der Weg nach Palästina gehen. In den Bergen aber fiel bereits der Schnee, und so musste Adalbert mehrmals absteigen und sein Pferd führen. Der Weg führte durch tiefen Schnee, dann wieder über glattes Eis. An einer engen Stelle geriet sein Ross ins Rutschen, und unser Ritter konnte es nicht mehr halten. Es war ihm gerade noch gelungen, die Hand vom Zügel zu befreien, als sein tapferes und treues Tier mit einem letzten Wiehern kopfüber in einen tiefen Abgrund stürzte. Nun hatte er nur noch sein Schwert in der Hand.
Immer beschwerlicher wurde der Weg, das Wetter immer unwirtlicher. Wie sollte er auf diese Weise jemals nach Palästina gelangen? Wie sollte er den König der Könige finden? War es da nicht besser, die Suche vorläufig aufzugeben und zurückzukehren, sich mit einem neuen Pferd und mit Geld zu versorgen, um dann vielleicht im Frühjahr doch auf dem Seeweg ins ferne Land zu reisen? Doch halt, war er da nicht dabei, seinen Mut aufzugeben, und hatte ihm der Vater Abt nicht gesagt, er brauche dreimal Mut, um den König zu finden? Bei den Piraten hatte er schon Mut gezeigt, nun wollte er ebenfalls seinen Mut beweisen und weitergehen.
Der Ritter geriet unterdessen auf ein Gletscherfeld. Abschüssig fiel das Eis nach unten, und um das Feld zu überqueren, blieb ihm nichts übrig als sich auf sein Schwert zu stützen, damit er nicht abrutsche. Eine andere Stütze hatte er nicht. Dennoch geriet er plötzlich ins Schlingern, und um sich irgendwo festzuhalten, ließ er kurz das Schwert fahren. Die blitzende Klinge sauste klirrend über das blitzende Eis dahin. Der Ritter versuchte das Schwert noch zu fassen, doch das Eisen war schneller als er. Das Schwert war dahin, und er selbst hatte das Glück, an einem Felsvorsprung hängen zu bleiben, der den Gletscher durchschnitt. Zwar war er nun blutig aufgeschürft, doch immerhin mit dem Leben davongekommen. „Wahrhaft“, sagte sich der Ritter, „es braucht Mut, Mut und abermals Mut!“
Ohne Pferd, ohne Waffen, ohne Gold, allein in eisiger Wüste und Finsternis, so taumelte mit letzter Kraft unser Ritter dahin. Er kannte keinen Weg mehr und keinen Steg, fand keine Hütte und keinen Unterschlupf. Die Kälte durchzog seine Glieder. Ach, sollte man nicht einfach in den Schnee sinken und einschlafen? Vielleicht nur ein wenig rasten? Danach könnte er sich ja wieder auf den Weg machen… Doch nein, nur nicht aufgeben, nicht im Schnee liegenbleiben, das wäre sein Tod. So schleppte er sich dahin und dahin, doch schließlich verließen ihn seine Kräfte, und er sank in den Schnee und schlief ein.
Er erwachte am Feuer eines Einsiedlers, der hier in dieser kalten Einöde seine Klause hatte. Dieser hatte den halberfrorenen Ritter Adalbert gefunden und in seine Hütte geschleppt. Er gab ihm heißen Tee zu trinken und rieb seine Glieder mit einer Salbe. Er fragte nicht viel, und Ritter Adalbert hatte wenig Lust zu reden. Er schlief viel. Nach fünf Tagen erst sagte er dem Einsiedler, wer er sei und wie er hierher geraten. „Ich verstehe“, sagte der Einsiedler bloß. „Doch ich werde nicht aufgeben“, rief der Ritter Adalbert. „Ich werde den König der Könige suchen und finden! Ich werde zeigen, dass ich Mut habe nicht nur für drei, sondern für dreihundert und dreitausend!“ „Bisweilen“, so entgegnete der Einsiedler sanft, „bisweilen braucht es mehr Mut, umzukehren als weiterzugehen. Bisweilen braucht es mehr Mut, sein Scheitern und seine Schwäche einzugestehen als um jeden Preis weiterzumachen.“ „Wie, wie meint ihr das?“ stotterte unser tapferer Ritter. „Wie ich es sagte“, entgegnete der Einsiedler und sagte weiter nichts mehr, sondern vertiefte sich ins Gebet.
Ritter Adalbert blieb noch einige Wochen bei dem Einsiedler. Er wurde sehr nachdenklich und lernte zu beten. Ihm schien, als werde er ein ganz anderer Mensch. Und endlich trat er vor seinen Retter und Gastgeber und bat ihn um Entlassung. „Siehe“, sagte er, „ich glaube, ich habe begriffen. Ich werde also so mutig sein und umkehren. Ich will zurückgehen zum Abt und ihm mein Scheitern eingestehen.“ „So gehe denn mit Gott, mein Sohn“, erwiderte der Einsiedler und gab ihm seinen Segen.
Es war eine traurige Rückkehr jenes stolzen Ritters, der einst so furchtlos ausgezogen war, sich in die Dienste des höchsten Königs zu stellen. Arm und zerlumpt, als wehrlose und ausgezehrte Bettelgestalt kehrte er zurück. Er mied sein Schloss, er mied alle Bekannten – ohnehin hätten sie ihn nicht erkannt –, er eilte gleich zum Kloster und verlangte den Vater Abt zu sprechen. Der gute Abt erkannte ihn sofort, und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Nun, da seid Ihr wieder! Habt Ihr den König gefunden?“ „Oh nein!“ rief der Ritter Adalbert, „doch etwas anderes habe ich gefunden, eine besondere Art von Mut, die ich vorher nicht hatte.“ Und er erzählte dem Abt seine ganze Reise. Als er geendigt hatte, schweigen beide eine ganze Weile. Endlich tat der Abt seinen Mund auf und sprach: „Mir scheint, Ritter Adalbert, dass Ihr den dreifachen Mut bewiesen habt, von dem ich Euch sprach. Seht, Ihr waret reich, nun seid Ihr arm. Ihr habt also zur Armut gefunden, dem ersten Mut. Ihr waret stolz, nun seid Ihr es nicht mehr. Ihr habt zur Demut gefunden, dem zweiten Mut. Und endlich habt Ihr den Mut zur Umkehr gefunden, zum Eingeständnis der eigenen Schwäche. Das ist der eigentliche Bekennermut. Ihr habt damit alles erfüllt, was ein wahrer Diener des höchsten Königs erfüllen muss. Denn so hat es uns Unsere Herrin, Seine Mutter, die Königin der Könige, gesungen: ‘Er übte Macht aus mit seinem Arm; er zerstreute, die hochmütig sind in ihres Herzens Sinnen. Gewalthaber stürzte er vom Thron und erhöhte die Niedrigen. Hungrige erfüllte er mit Gütern, und Reiche schickte er leer von dannen. Er nahm sich Israels an, seines Knechtes, zu gedenken seines Erbarmens.’ Demut, Armut und Schwäche, das sind die wunderbaren Gesetze und Machtmittel des allmächtigen Königs über allen Königen. Und nun wird es Zeit, dass ich dich Ihm vorstelle. Es trifft sich gut, denn heute ist gerade die Christnacht, und wir feiern das Fest Seiner Geburt.“
Der Vater Abt nahm den Ritter und führte ihn vor ein Bild der Muttergottes, die das neugeborene Jesuskind im Arme hält. „Hier siehst du ein Bild von unserem König und unserer Königin. Er ist der allmächtige Gott, der alles in Seinen Händen hält, wahrhaft der Herr der Herren und der König der Könige. Ihm gehört das Weltall und alles, was darin ist, alles hat in Ihm Seinen Ursprung und Seinen Bestand. Und dennoch hat Er es nicht gescheut, aus einer Jungfrau geboren zu werden. In einem Stall, arm und elend, wollte Er zur Welt kommen. Und die Ihm dienen wollen, müssen es machen wie Er. Nur solche nimmt Er zu Seinen Dienern an, die allem entsagen und ihr Kreuz auf sich nehmen. Und nun zeige ich dir den König selbst. Doch erschrick nicht, denn siehe, Er hat sich hier noch kleiner gemacht. In einer Brotsgestalt weilt Er hier bei uns im Tabernakel.“ Mit diesen Worten führte ihn der Vater Abt in die Kirche und machte eine tiefe, ehrfürchtige Kniebeuge. Der Ritter aber fiel vor dem Tabernakel nieder. Er hatte Ihn gefunden, Ihn, den er sein Leben lang gesucht hatte, den Herrn der Herren, den König der Könige, und Er hauste nicht in einem Schloss, nicht in äußerem Prunk und Reichtum, sondern in einfacher Brotsgestalt im Tabernakel.
Der Abt aber ergriff einen braunen Mantel und warf ihn um unseren mutigen Ritter Adalbert. „Von nun an“, flüsterte er, „sollst auch du ganz Sein Diener sein, Bruder Adalbert!“ Er gab ihm den Bruderkuss und führte ihn in den Chor der Mönche, die eben begannen, die Mette zum heiligen Christfest zu singen. Wie glücklich war unser Ritter Adalbert, wie glücklich! Er war am Ziel all seines Sehnens. Während die herrlichen Melodien durch das Gewölbe der Kirche drangen, liefen die Tränen über seine Wangen, und er schämte sich dessen nicht, sondern weihte sie als treuer und tapferer Diener dem König der Könige und Herrn der Herren, den uns die Jungfrau in dieser Nacht im Stalle geschenkt.
Das Buch von Albert Maria Mandrella enthält 15 tiefsinnige Weihnachtsgeschichten und ist im Sarto Verlag erhältlich.