Was ist das innere Gebet?

Was ist das innere Gebet?

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Nachstehender Text stammt von Pater Raymond O. P. und wurde in der Ritter-Zeitschrift Nr. 2 / 2018 erstmalig publiziert. Diese und weitere Ausgaben der Ritter-Zeitschrift finden Sie hier: MI-Zeitschrift

 

Theresia von Avila
hl. Teresia von Jesus (von Avila)

Was ist eigentlich das innere Gebet? Ist das eine Betrachtung? Oder die stille Verrichtung einiger Gebete? Wenden wir uns an eine schöne und klassische Begriffsbestimmung, die für alle Formen des inneren Gebets gilt:

„Meiner Meinung nach ist inneres Beten nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt.“[1]

„Verweilen bei einem Freund…“

Gott hat uns aus Liebe erschaffen und erlöst; er hat uns zu einer sehr engen Vereinigung mit ihm vorherbestimmt. „Mit ewiger Liebe liebe ich dich“, sagt der Herr (Jer. 31, 3). Er wohnt – wenn wir im Stand der Gnade sind – in unserer Seele mit einer übernatürlichen, persönlichen Gegenwart, in einer fortdauernden liebenden Tätigkeit. Er ist ein Feuer, das ständig seine Wärme ausbreitet, eine Sonne, die ihr Licht ausgießt, ein immer sprudelnder Brunnen.

Das innere Gebet ist die bevorzugte Gelegenheit, bei welcher wir dieser Liebe, die Gott ist, begegnen. Durch die heiligmachende Gnade werden wir zur Gotteskindschaft erhoben und können dieser Liebe entsprechend antworten. Sie befähigt uns zur Vereinigung, zum Austausch, zur wechselseitigen Durchdringung mit Gott, kurz: zur Freundschaft mit ihm.

Inneres Gebet heißt also, bei Jesus in unserem eigenen Inneren zu verweilen, indem wir uns innerlich sammeln, still werden, vom guten Willen und dem Wunsch beseelt sind, ihm Freude zu bereiten. Inneres Gebet heißt, uns so oft wie möglich mit Jesus zu unterhalten, mit ihm über alles zu sprechen: über uns, unser Elend, aber vor allem über ihn. Inneres Gebet heißt, ihn anzubeten, ihn zu bewundern, ihm zu danken, ihn zu lieben. Inneres Gebet heißt auch, ihm zuhören zu können, ihn sprechen zu lassen, ihn handeln zu lassen. Stellen wir unsere Seele zur Verfügung wie die Leinwand eines Malers, die Jesus selbst bemalen will.

Die Formen dieses „Verweilens“ variieren je nach Umständen, Temperament, Alter und Stufe des inneren Lebens. Ein Kind wird seine übernatürliche Liebe zu Jesus in einem Kuss zum Ausdruck bringen, in einem auf den Tabernakel gerichteten Lächeln, in einem traurigen Blick vor dem Kruzifix. Ein Jugendlicher geht in seiner Liebe zu Jesus schon weiter, indem er Ausdrücke und Bilder benützt, die seine Vorstellung und Sinne beeindrucken, bis sein weiter entwickelter Verstand es ihm erlaubt, solide Gedanken zu benutzen, um ein intellektuelleres und nahrhafteres inneres Gebet zu halten. Diese Liebe wird traurig oder froh, schweigsam oder offenherzig, eine Besinnung oder ein einfacher Blick, ein von Herzen kommendes Gebet oder schmerzhafte Ohnmacht usw. sein.

Aber durch alle Wechselfälle hindurch bleibt immer ein und dieselbe wesentliche Tätigkeit bestehen: sich mit Gott aus Liebe zu vereinigen. Die heilige Teresa sagt, dass das Gebet „nichts anderes“ als ein Verweilen sei. So genügt das Wirken der übernatürlichen Liebe und bildet das Wesentliche des geistigen Gebets: Der Rest ist nebensächlich, ist nur ein Mittel.

Ein „…Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen…“

Wenn die Seele treu zum inneren Gebet ist, geschieht es nach und nach, dass sie sich sehr oft im Laufe des Tages zu Jesus wendet. Es wird ein Leben mit einem bevorzugten Freund. Der Kontakt mit Gott stellt sich im Seelengrund ein, in den Tiefenbereichen, wo Gott wohnt und wo sich die vom Heiligen Geist in uns eingegossene Liebe befindet. Wenn die Liebe mächtig ist, wird der Austausch häufig und vertraut zugleich. Dieses Gebet verwirklicht sich in der Einsamkeit der Seele: Das innere Gebet ist ein persönliches, stilles Gebet. Es ist kein liturgisches oder öffentliches Gebet, es muss persönlich sein.

„Wenn du aber betest, so geh in deine Kammer, schließ die Türe zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir vergelten (Mt 6, 6).“

„…weil wir sicher wissen, dass er uns liebt.“

Es handelt sich also um einen Akt des Glaubens, dem die Liebe folgt. Wohlverstanden, es geht hier um eine übernatürliche Liebe, einen übernatürlichen Akt. Wir sehen die Menschen, die wir gern haben: Familienmitglieder, Freunde… Wir schätzen ihre Vorzüge; wir verspüren ihre Zuneigung zu uns und die unsrige zu ihnen. Diese Liebe, selbst wenn sie ganz rein ist, entwickelt sich auf natürlicher Ebene und bewegt unsere natürlichen seelischen Vermögenskräfte. Beim inneren Gebet hingegen sehen wir Gott nicht. Er ist reiner Geist, unendliches Sein, unfassbar für unsere menschlichen und natürlichen seelischen Vermögenskräfte. Die Liebe, die uns mit ihm vereinigt, ist von derselben Natur wie Gott und dadurch von unseren natürlichen Vermögenskräften weit entfernt. Der Liebesaustausch begründet sich also im Dunkel des Glaubens. Es geht demnach nicht darum zu versuchen, Gott im inneren Gebet zu fühlen. Die Kontaktaufnahme mit Gott ist an sich nicht spürbar. Wenn der Kontakt entsteht, lässt er nicht unbedingt ein Licht oder eine Erfahrung zurück. Das bedeutet deshalb noch lange nicht, kein inneres Gebet gehalten zu haben oder dass es missglückt ist.

Es ist sicher, dass die Liebe Gottes uns immer bereichert. Genauso wie man seine Hand nicht in Wasser tauchen kann, ohne sie zu benetzen, oder sie nicht in eine Flamme halten kann, ohne sich zu verbrennen, so kann man nicht im Glauben mit Gott Kontakt aufnehmen, ohne aus seinem unendlichen Reichtum zu schöpfen.

Methode des inneren Gebets

Heiliger Geist PetersdomMuss man eine Methode des inneren Gebets befolgen? Das innere Gebet ist kein christliches Yoga! Es ist keine Frucht einer Technik, eines persönlichen Fortschritts durch geistige Konzentration. Es ist eine Gnade Gottes, ein Geschenk Gottes, das wir anzunehmen haben. Alle sind also imstande zum tiefen stillen Gebet, sofern man der Gnade treu entspricht. Es ist wohl eine Kunst, es zu lernen, aber es soll nicht künstlich sein! Die Methoden können jedoch vor allem zu Beginn des geistlichen Lebens nützlich sein. Aber Vorsicht! Man darf das innere Gebet, so wie die heilige Teresa von Avila es formuliert, nicht mit einer Methode verwechseln. Eine Methode ist nur unter der Bedingung von Nutzen, dass man die zahlreichen und in einer gewissen Ordnung stehenden Akte, die sie vorschreibt, aufzugeben weiß, sobald man das Ziel, d.h. die Vertrautheit mit Gott, erreicht hat.

Die Methoden wollen das Feuer der Liebe entzünden und es dann unterhalten. Um ein Feuer zu entzünden, braucht man Reisig und keine großen Scheite, sonst erstickt das Feuer. Ebenso beginnt man auch behutsam mit dem inneren Gebet. Man darf nicht zu lange warten, um Holz nachzulegen, denn sonst geht das Feuer aus. Wenn also der Liebesaustausch anfängt, darf man nicht rein passiv oder vielmehr leer bleiben. Selbst in dem Fall, wo die Hauptinitiative von Gott ausgeht, macht die Seele von ihrer Erkenntnis und ihrer Liebe Gebrauch: Sie schläft nicht. Im Laufe der Betrachtung, wenn man spürt, dass die liebende Zuneigung nachlässt, legt man mit einer neuen Erwägung ein neues Scheit auf.

Es ist nicht zu vergessen: Man kann nur lieben, was man kennt, was man erfasst. Ein lebendiger Glaube ist nötig, um die Liebe zu nähren. Eine regelmäßige Bereicherung des Glaubensschatzes durch das Studium der Kirchenlehre, durch die Schriftlesung, durch die geistliche Lektüre, ermöglicht indirekt das Wachstum der Liebe.

Ratschläge

Das innere Gebet ist eine erlesene Kunst, die es zu lernen gilt. Hier einige ergänzende Ratschläge.

Die innere Sammlung

Es ist ratsam, es zu Tagesbeginn zu halten, bevor der Geist mit irdischen Dingen beschäftigt ist. Es ist auch gut, regelmäßig die gleiche Tageszeit dem stillen Gebet zu widmen. Es muss zur Gewohnheit werden. Nach einer Zeit wird die Seele sich spontan zu der bestimmten Zeit zu Gott erheben. Es wird ein Bedürfnis.

Hoffen wir nicht, beim inneren Gebet innerlich gesammelt zu sein, wenn wir uns nicht darum bemühen, es den ganzen Tag über zu sein. Das ist eine Frage der Entschiedenheit: Man kann Gott immer finden „in der Stille eines Herzens, das nur für ihn da sein will“, wie die hl. Elisabeth von der Heiligsten Dreifaltigkeit an eine Familienmutter schrieb. Und im Gegenteil, wenn man bei den verschiedensten Beschäftigungen in keiner Weise an unseren Herrn oder Unsere Liebe Frau denkt, wird man kein gutes inneres Gebet halten können.

Aber innere Sammlung meint nicht Konzentration! Gott wirkt wie ein Künstler, der sich bemüht, die Zuschauer in den Bann zu schlagen. Der Zuschauer braucht sich nicht zu konzentrieren, um aufmerksam der Vorstellung zu folgen, wenn er sich fesseln lässt. Der heilige Johannes vom Kreuz sagt, dass „die Seele nicht inneres Gebet hält, um sich zu ermüden, sondern um sich zu entspannen“. Man muss in das innere Gebet gehen, ohne in diesem Augenblick etwas anderes machen zu wollen.

PrayerDürren und Zerstreuungen

Was ist angesichts der Trockenheit und Ablenkungen zu tun? Das ist eine geläufige Schwierigkeit, vor allem bei Anfängern, weil insbesondere sie ein wenig zu viel nach Tröstungen beim inneren Gebet suchen.

Seien wir uns zuallererst im Klaren darüber, dass das innere Gebet nicht für uns ist, sondern für Gott, um unserem Herrn Freude zu bereiten. Wenn man sich leer fühlt, muss man ganz einfach dem inneren Gebet treu bleiben und Gott seinen Leib und seine Seele widmen. Das ist keine gehaltlose Gabe! Wir bringen ihm unsere Kraft, unsere Seelenkräfte und alles dar, was auf eine Weise hätte benützt werden können, die uns nützlicher, für unser menschliches Ich sinnvoller erschienen wäre. Damit setzen wir einen Akt der Demut und der Ehrbekundung an die Transzendenz Gottes. Wir erkennen, dass Gott frei im Geben ist, dass wir unwürdig sind, seine Gaben zu empfangen. Stellen wir uns vor Gott wie Bettler.

Man kann sich ein Buch zur Hilfe nehmen, unter der Voraussetzung, dass wir das innere Gebet nicht schlicht und einfach in eine Lektüre umformen.

Die Trockenheit, die wir empfinden, hindert Gott absolut nicht, uns Gutes zu tun, uns seine Gnaden zu gewähren. Die hl. Teresa von Avila hat die größten Gunsterweise empfangen, als sie die Tröstungen der Betrachtung am wenigsten spürte.

Treue und Beharrlichkeit

Das innere Gebet bedarf der Treue und Beharrlichkeit. Das ist der erste Kampf. Wir müssen siegen, koste es, was es wolle! Das ist vielleicht das schwierigste. Der Teufel versucht uns zu entmutigen. Wir empfinden manchmal Trockenheit oder Abscheu. Die hl. Teresa von Avila rät:

Diejenigen, die von diesem Wasser des Lebens trinken wollen und den Weg gehen möchten, bis sie zur Quelle selbst vorstoßen: Wie sollen die also beginnen? Dazu sage ich, dass viel, ja alles an einer großen und ganz entschiedenen Entschlossenheit gelegen ist, um nicht aufzuhören, bis man zur Quelle vorstößt, komme, was da kommen mag, passiere, was passieren mag, sei die Mühe so groß, wie sie sein mag.[2]

Ein guter Kirchgänger findet den inneren Frieden nicht, empfindet immer exzessive Beunruhigung, handelt immer menschlich, wenn er das innere Gebet nicht praktiziert.

Wenn er hingegen darin nicht nachlässt, wird er die Burg betreten, wird er ein neues Leben entdecken: den Anfang des Himmelsleben.

Im Notfall

Es kann schließlich geschehen, dass man einen Tag unfähig ist, die gewöhnliche Weise des inneren Gebets zu üben. Man ist sehr müde oder beunruhigt… In diesem Fall darf man einfach versuchen, Gott in der Schönheit der Natur zu finden; oder ein schönes Gebet langsam zu meditieren, zu wiederholen, z.B. das Vaterunser; oder man kann ein schönes Bild von Jesus oder Maria anschauen und verehren. Das Ziel ist immer gleich: zur Liebe, zum Vertrauen, zur Anbetung zu gelangen.

Wenn eine Sorge uns verfolgt, nehmen wir einfach dieses Problem als Thema: Sprechen wir darüber mit Gott und Maria. Das wird ein echtes Gespräch mit Demut, Hoffnung, Vertrauen, Liebe sein, und wir finden eine Erholung.

Gott erfreuen

Vor allem muss das innere Gebet ein Trost und eine Verehrung Gottes und Mariens sein. Dies ist der erste Zweck.

Ich ermuntere euch, sagt der heilige Johannes Eudes, soweit es mir möglich ist, und beschwöre euch im Namen Gottes, unseren lieben Herrn Jesus nicht seines Glückes zu berauben. Er neigt sich ja zu uns herab, um mithilfe des heiligen inneren Gebets seine Freude daran zu haben, bei uns zu sein und mit uns zu sprechen. Drücken wir ihm vielmehr aus, wie wahr es ist, was der Heilige Geist sagte, nämlich dass „es weder Bitterkeit in seiner Unterhaltung, noch Langeweile in seiner Begleitung, sondern nur Freude und Erfreuen gebe“. – „Der Verkehr mit ihm hat keine Bitternis; das Zusammenleben mit ihm bringt keinen Verdruss, sondern nur Frohsinn und Freude“ (Weish 8,16).

 

Das innere Gebet führt uns einfach in das echte christliche Leben, das in nichts anderem als in einem gewöhnlichen Leben bei Gott besteht, im ständigen Kontakt mit ihm durch den Glauben und die Liebe.

 

[1] – Hl. Teresa von Jesus, Das Buch meines Lebens, Herder, 2001, Freiburg in Breisgau, 8. Kapitel, S. 156.

[2] Hl. Teresa von Jesus, Weg der Vollkommenheit, K. 35.

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