Am 8. September feiern wir das Fest Mariä Geburt. Nachstehend Gedanken des hl. Alphons Maria von Liguori aus dem Buch „Die Herrlichkeiten Mariens“.
Maria wurde heilig, sehr heilig geboren. Mit großer Gnade wurde sie von Gott im ersten Augenblick ihres Daseins ausgestattet; und groß war auch die Treue, mit der Maria Gott entsprach.
Mit Freudenfesten pflegen allgemein die Eltern die Geburtstage ihrer Kinder zu feiern; und doch hätten sie Ursache zu Trauer und Schmerz, wenn sie bedächten, wie sie zur Welt kommen, nicht bloß ohne Verdienste und ohne den Gebrauch ihrer Vernunft, sondern noch überdies mit der Erbschuld, als Kinder des Zornes, und als solche zu Leiden und Tod verurteilt. Die Geburt des heiligsten Kindes Maria aber verdient mit allem Recht, mit allgemeiner Festlichkeit und Lobpreisung gefeiert zu werden, indem sie an das Licht dieser Welt als ein Kind zwar dem Alter nach kam, aber groß an Verdiensten und Tugenden. Maria wurde als Heilige und zwar als große Heilige geboren. …
Freuen wir uns also mit diesem Kind, das so heilig, von Gott so sehr geliebt, so voll von Gnade geboren wird. Und freuen wir uns nicht bloß für sie, sondern auch für uns; denn sie kam voll Gnade auf die Welt, nicht bloß zu ihrer Ehre, sondern auch zu unserem Heil. Der hl. Thomas erwägt, dass die allerseligste Jungfrau in dreifacher Hinsicht voll von Gnade war. Fürs erste war sie voll von Gnade in der Seele, so dass diese schöne Seele von Anfang an ganz Gott angehörte. Zum zweiten war sie voll von Gnade im Leib, so dass sie verdiente, mit ihrem reinsten Fleisch das ewige Wort zu bekleiden. Zum dritten war sie voll Gnade zum allgemeinen Wohl, auf dass alle Menschen daran teilhaben könnten.
„Einige Heilige”, sagt der englische Lehrer weiter, „haben so viel Gnade, dass sie nicht bloß für sie allein genügt, sondern auch um viele andere, doch nicht alle Menschen zu retten; nur Jesus und Maria war eine so große Gnade gegeben, dass sie genügte, allen zum Heil zu werden.” Was der hl. Johannes von Jesus Christus sagt, „von seiner Fülle haben wir alle empfangen” (Jo 1,16), dasselbe sagen die Heiligen von Maria. Der hl. Thomas von Villanova: „Eine volle Gnade, von deren Fülle alle empfangen”, so dass, wie der hl. Anselm sagt: „Niemand ist, der nicht teilhätte an der Gnadenfülle Mariens.” Wer wird je gefunden, dem die Jungfrau nicht gnädig wäre? Wer, auf den sich ihre Barmherzigkeit nicht erstreckte?
Von Jesus also – so müssen wir es verstehen – erhalten wir die Gnade als vom Urheber der Gnade, von Maria als der Mittlerin; von Jesus als dem Heiland, von Maria als der Fürsprecherin; von Jesus als der Quelle, von Maria als dem Kanal.
Darum sagt der hl. Bernhard, dass Gott Maria gleich einer Wasserleitung für seine Erbarmungen, die Er den Menschen zuwenden will, aufgestellt und sie darum voll der Gnade gemacht habe, auf dass aus ihrer Fülle jedem sein Anteil werde. Der Heilige ermahnt deshalb alle mit den Worten: „Erkennt, mit welcher Andacht Gott Maria von uns geehrt wissen will, da Er die Fülle alles Guten in sie gelegt hat, auf dass wir innewerden, wie alles, was wir an Hoffnung und Heilsgnade besitzen, von ihr uns zufließt.”
O wie elend ist jene Seele, die sich diesen Kanal der Gnade verschließt, da sie unterlässt, sich Maria anzuempfehlen. Da Holofernes die Stadt Bethulia erobern wollte, ließ er ihre Wasserleitungen durchschneiden. (Jdt 7,6) Dasselbe macht der Teufel, wenn er sich einer Seele bemächtigen will; er versucht, dass sie die Andacht zur allerseligsten Jungfrau aufgibt, und ist dieser Kanal geschlossen, so wird sie leicht das Licht, die Furcht Gottes und zuletzt das ewige Heil verlieren. Man lese das folgende Beispiel, und wird sehen, wie groß die Zärtlichkeit des Herzens Mariens ist, aber auch wie groß das Verderben, das sich derjenige zuzieht, der sich diesen Kanal verschließt, indem er die Andacht zu dieser Königin des Himmels aufgibt.
Beispiel
Trithemius, Canisius und andere erzählen, dass in Magdeburg ein Jüngling namens Udo lebte, der von Kindheit auf so schwachen Verstandes war, dass er der Spott aller seiner Mitschüler wurde. Da er einmal über seine geringen Fähigkeiten besonders betrübt war, empfahl er sich vor einem Bild der allerseligsten Jungfrau. Maria erschien ihm danach im Traum und sagte: „Udo, sei getrost! Ich will dir von Gott nicht bloß eine Fähigkeit erbitten, die dich vom Gespött befreit, sondern so großes Talent, dass du darüber bewundert werden wirst; außerdem gebe ich dir die Verheißung, dass du nach dem Tod des Bischofs als Nachfolger erwählt werden wirst.” So sprach Maria, und es ging genau in Erfüllung. Er machte rasche Fortschritte in den Wissenschaften und wurde Bischof dieser Stadt.
Aber Udo wurde so undankbar gegen Gott und seine Wohltäterin, dass er alle Andacht fallen ließ und zum Ärgernis aller wurde. Er wurde sehr ausschweifend. Da vernahm er eine Warnungsstimme, die rief: „Udo, lass ab von diesem Treiben; du warst lang genug darin, Udo!” Das erste Mal erzürnte er sich über diese Worte, weil er meinte, es habe sie ein Mensch gesprochen, um ihn zurechtzuweisen; allein da er sie zum zweiten- und dritten Mal wiederholen hörte, kam ihm doch die Furcht, diese Stimme könnte vom Himmel kommen. Trotz allem aber setzte er sein schlechtes Leben fort. Nach drei Monaten jedoch, die ihm Gott gegeben, um in sich zu gehen, kam die Strafe. Während ein frommer Kanonikus, Friedrich mit Namen, nachts in der Kirche des hl. Mauritius zu Gott betete, dass dem Ärgernis des Bischofs abgeholfen werde, riss ein heftiger Windstoß die Tür der Kirche auf. Dann traten zwei Jünglinge mit brennenden Fackeln in der Hand ein und stellten sich zu den Seiten des Hochaltars auf. Ihnen folgten zwei andere, die vor dem Altar einen Teppich ausbreiteten und darauf zwei goldene Sitze stellten. Zuletzt kam ein anderer Jüngling in kriegerischer Tracht [St. Michael] mit dem Schwert in der Hand, der sich mitten in die Kirche stellte und rief: „O ihr Heiligen des Himmels, die ihr in dieser Kirche eure hl. Reliquien habt, kommt, um Zeugen des großen Gerichtes zu sein, das der höchste Richter nun abhalten wird!” Auf diese Stimme erschienen viele Heilige und auch die zwölf Apostel, als Beisitzer dieses Gerichtes. Nun erschien Jesus Christus, der sich auf einem der beiden Sitze niederließ, nach Ihm Maria, von vielen hl. Jungfrauen gefolgt; ihr göttlicher Sohn wies ihr den anderen Sitz an. Der Schuldige wurde auf Befehl des Richters herbeigeführt, und es war dies der elende Udo. Der hl. Mauritius erhob die Stimme und forderte im Namen des durch Udos schändlichen Wandel geärgerten Volkes Gerechtigkeit. Alle antworteten: „Herr, er verdient den Tod.” – „Wohlan, er sterbe!” sagte der ewige Richter. Doch vor Vollstreckung des Urteils verließ die gütigste Mutter, um nicht Zeuge des schrecklichen Aktes der Gerechtigkeit zu sein, die Kirche, woraus man sehen mag, wie groß ihr Mitleid ist.
Nun trat der Engel mit dem Schwert zu Udo und schlug ihm mit einem Schlag das Haupt vom Rumpf. Die ganze Erscheinung verschwand. Der ganze Raum der Kirche war wieder dunkel. Der erschütterte Kanonikus zündete sich eine Kerze an und fand den Leichnam Udos mit abgeschlagenem Haupt und den Boden voll Blut. Als es Tag geworden und das Volk zur Kirche kam, erzählte der Kanonikus die Erscheinung und die schreckliche Trauerszene. Noch am selben Tag zeigte sich der unselige Udo einem seiner Kapläne, der vom Ereignis der Nacht noch nichts vernommen hatte, als zur Hölle verdammt. Der Leichnam Udos wurde in einen Sumpf gesenkt, sein Blut aber wurde zum ewigen Gedächtnis auf dem Boden der Kirche gelassen und mit einem Teppich bedeckt, der später nur dann entfernt zu wurde, wenn ein neuer Bischof von der Kirche Besitz nahm, damit er beim Anblick der großen Züchtigung Bedacht nähme, seinen Wandel wohl zu ordnen und den Gnaden des Herrn und seiner heiligsten Mutter nicht untreu zu werden.
Gebet
O heiliges und himmlisches Kind, auserwählt zur Mutter meines Erlösers und zur erhabenen Mittlerin der armen Sünder, habe Mitleid mit mir. Sieh zu deinen Füßen einen anderen Undankbaren, der zu dir seine Zuflucht nimmt und dich um Mitleid anfleht. Freilich verdiene ich wegen meines Undankes gegen Gott und dich, von Gott und dir verlassen zu werden; doch wird mir gesagt, und so halte ich daran, wissend wie groß dein Erbarmen, dass du nicht verschmähst, dem zu helfen, der sich mit Vertrauen dir empfiehlt. Darum, o erhabenste aller Kreaturen der Welt, die nur von Gott allein übertroffen wird, und vor der die höchsten Geister des Himmels klein erscheinen, o Heilige der Heiligen, o Maria, Abgrund der Gnade und voll der Gnade, komme einem Elenden zu Hilfe, der durch seine Schuld die Gnade verloren. Ich weiß, du bist Gott so lieb, dass Er dir nichts versagt. ich weiß auch, es ist deine Freude, kraft deiner Herrlichkeit den elenden Sündern zu Hilfe zu kommen. Offenbare also die Größe deiner Gnade vor Gott und erlange mir so viel Licht und solche Liebesflamme von Gott, die aus mir wieder einen Heiligen, die mich freimacht von jeder irdischen Neigung und ganz in Liebe zu Gott entzündet. Bewirke dies, o Herrin! Du vermagst es. Bewirke es aus Liebe zu Gott, der dich so groß, so mächtig, so barmherzig gemacht hat. Also hoffe ich. Amen.